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Schwerbehindert und sehr fleißig

Sozialminister appelliert an Betriebe, Menschen mit Handicaps einzustellen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Wegen einer Lungenkrankheit kommt Jürgen Ziebe schnell aus der Puste. Eine Treppe kann er noch nach oben spurten, dann muss er aber verschnaufen. Der 57-Jährige hört auch schwer. Diese Leiden hat er früher lieber verschwiegen, wenn er sich um eine Stelle bewarb. »In meinem Alter ist es schwer, überhaupt jemanden zu finden, der mich nimmt«, weiß Ziebe. Aber nun hat es endlich geklappt. Seit ein paar Wochen ist er Hausmeister in einem Autohaus in Cottbus und genießt es richtig, früh aufzustehen und wieder zur Arbeit zu gehen.

Von allein wäre der Unternehmer Hubertus Wilk niemals darauf gekommen, Schwerbehinderte einzustellen. Erst die Arbeitsagentur hat ihn auf diese Idee gebracht, als er einen Hausmeister und einen Lehrling für sein Autohaus suchte. Für den behinderten Lehrling musste Spezialwerkzeug angeschafft werden. Auch für den neuen Hausmeister waren Ausgaben notwendig.

Aber dafür gibt es ja Fördermittel. Außerdem fällt die Ausgleichsabgabe von 2000 Euro weg, die Wilk Jahr für Jahr entrichten musste, solange sich unter seinen 30 Mitarbeitern kein Schwerbehinderter befand. Aber auf die 2000 Euro kam es Wilk gar nicht an. Er ist mit Jürgen Ziebe sehr zufrieden. Der Lohn, »das ist kein Almosen, da steckt echte Leistung dahinter«, versichert der Unternehmer. Der neue Hausmeister habe fleißig zugepackt.

Die Schwerbehinderten sind »überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen«, weiß Sozialminister Günter Baaske (SPD). Gegenwärtig sind rund 6400 von ihnen erwerbslos. »Viele Unternehmen kaufen sich lieber von der Verpflichtung frei, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, anstatt ihnen Arbeit zu geben«, bedauert Baaske. Er appelliert an Betriebe, den Menschen eine Chance zu geben.

Dabei winkt Firmen, die einen Ausbildungsplatz für einen Behinderten schaffen, ein Zuschuss bis zu 10 000 Euro. Übernehmen sie den Lehrling nach der Ausbildung, gibt es 5000 Euro zusätzlich. Ein Arbeitsplatz für Schwerbehinderte im Alter ab 45 Jahre wird mit bis zu 20 000 Euro gefördert. Der Bund spendiert dafür insgesamt 1,6 Millionen Euro. Das Land Brandenburg legt bis zu vier Millionen Euro oben drauf. Seit Mai sind 18 Lehrstellen für Schwerbehinderte besetzt und seit Oktober außerdem 32 Stellen für ältere Schwerbehinderte. Ziel sind 38 Ausbildungsplätze und bis zu 250 Jobs. Sollten sich mehr Bewerber und interessierte Unternehmen melden, wollen das Sozialressort und die Arbeitsagentur noch mehr Geld locker machen. Das versichern Sozialminister Baaske und Christian Ramm von der Regionaldirektion der Arbeitsagentur.

4000 der 6400 schwerbehinderten Erwerbslosen verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen Hochschulabschluss, erklärt Christian Ramm. Dieser Anteil sei bei den übrigen Arbeitslosen nicht so hoch. Zwar gebe es Handicaps, doch das gleichen die Behinderten durch ihre hohe Motivation aus, sagt Ramm. Wer einmal Behinderte einstellt, wolle sie in der Regel nicht mehr missen.

Das bestätigt Thomas Hardt vom Dentallabor Schulz+Hardt in Dahlwitz-Hoppegarten. Das Labor bildet Marwa Al Sadoon zur Zahntechnikerin aus. Die 27-jährige Berlinerin absolvierte dort zuvor ein Praktikum und hat sich dabei empfohlen. Marwa Al Sadoon ist gehbehindert und fast taub. Sie benötigte beispielsweise verschiedene höhenverstellbare Stühle, weil sie bei allen Tätigkeiten sitzen muss, während die gesunden Kollegen einiges auch im Stehen erledigen. Die 27-Jährige benutzt einen Rollator, aber Thomas Hardt scheint es, als falle ihr das Gehen inzwischen leichter, wenn sie früh ins Labor kommt. Manchmal dauere es wegen der Schwerhörigkeit ein bisschen länger, ihr etwas zu erklären. Doch dafür entschädige Marwa täglich mit ihrem Lächeln. Hardt beurteilt die junge Berlinerin mit den Worten: »Fleißig, arbeitsam, ganz starker Wille.«

Manchmal sind Schwerbehinderte ihren Kollegen sogar überlegen. So erzählt Minister Baaske von einem Betrieb, wo etliche gehörlose Arbeiter an Stanzen stehen, die einen fürchterlichen Lärm erzeugen. Doch die Gehörlosen können sich in ihrer Gebärdensprache mühelos verständigen.

● In Brandenburg leben rund 330 000 Behinderte, davon ungefähr 230 000 Schwerbehinderte.

● Etwa 100 000 schwerbehinderte Brandenburger sind im erwerbsfähigen Alter.

● Eine Ausgleichsabgabe müssen Betriebe mit mindestens 20 Mitarbeitern entrichten, wenn sie niemanden beschäftigten, der nicht mindestens zu 50 Prozent schwerbehindert ist. Je größer der Betrieb, je höher die geforderte Behindertenquote.

● Durch die Ausgleichsabgabe kommen im Bundesland jährlich rund zehn Millionen Euro zusammen, die für die berufliche Integration Behinderter ausgegeben werden.

● Der Glaube, dass Schwerbehinderte unkündbar seien, stimme nicht, erklärt der Landesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel. In 80 Prozent der Fälle genehmige das Integrationsamt Kündigungen, weil nicht die Behinderung die Ursache für die Entlassung sei.

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