Jenseits des Steinways

Die Reihe »Jazz at Berlin Philharmonic« startete mit drei stilprägenden europäischen Pianisten

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Jazz kehrt zurück in die Berliner Philharmonie. Mit einer neuen Veranstaltungsreihe knüpft die bedeutende Konzertstätte an die große Tradition der Berliner Jazztage an, deren Hauptkonzerte dort bis Ende der 80er Jahre ihre Heimstatt hatten.

Dennoch war das Eröffnungskonzert von Jazz at Berlin Philharmonic alles andere als eine nostalgische Retroschau. Vielmehr gaben sich am Dienstag im Kammermusiksaal drei der derzeit spannendsten europäischen Jazzpianisten ein Stelldichein. Längst hat sich der Jazz weltweit aus der Schublade befreit, so eine Art Nationalkultur der Afroamerikaner zu sein, in der europäische Einflüsse eine eher marginale Rolle spielen. Der Pole Leszek Możdżer, der Finne Iiro Rantala und der Deutsche Michael Wollny stehen für einen selbstbewussten Umgang mit dem Erbe des Jazz. Trotz ihrer relativen Jugend sind es musikalisch weit gereiste Sucher, die für ihre Form der improvisierten Musik noch ganz andere Wurzeln gefunden haben, als den Blues aus dem Missisippi-Delta oder den Bebop aus den New Yorker Clubs in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

So sind die Solostücke der drei auch Zeugnis einer intensiven Auseinandersetzung mit jeweils prägenden Einflüssen. Możdżer, der wohl Introvertierteste der drei und mit einer schier unglaublichen Anschlagstechnik gesegnet, entwickelte romantisch-elegische Klangbilder, wie Perlenschnüre füllen seine Melodiebögen den Saal. Nicht nur Werke des Filmkomponisten Krzysztof Komeda werden von ihm zunächst auf ihren Kern reduziert, um sie anschließend mit neuen Farben zu füllen - dynamisch wie melodisch.

Auch Rantala hat ein äußerst feines Gespür für Strukturen, gemäß seiner Auffassung, dass die Fugen von Johann Sebastian Bach die eigentliche Geburtsstunde der improvisierten Musik und somit des Jazz sind. Auf der Basis einer minimalistischen, betont perkussiven Bassfigur zelebrierte er in seiner Komposition »Thinking of Misty« einen eruptiven Ausbruch nach dem anderen, bevor er sich krachenden funktionsharmonischen Erweiterungen des Themas von Bachs »Goldberg-Variationen« widmete.

Wollny wiederum gilt als Musiker, der sich ständig neu erfindet. Bruchlos mutieren rockig gehämmerte Blockakkorde zu swingenden Klangkaskaden und fein ziselierte polyfone Sätze zu wilden, freien Attacken. Gerne verlässt er die Dur-Moll-Tonalität und bewegt sich stattdessen im Kosmos erweiterter und verminderter Harmonien. Die vermeintliche Klangbeschränkung eines analogen Steinway-Flügels akzeptiert Wollny schon lange nicht mehr. Bei seinen rasend gespielten Stakkati verschwanden mit durchgedrücktem Fortepedal die Anschlaggeräusche und lassen sphärische Cluster durch den Raum wabern.

Entsprechend spannend gestalteten sich auch die anschließenden Duo-Auftritte dieser drei deutlich unterschiedlichen musikalischen Charaktere; geprägt vom Respekt voreinander und dem ständigen Bemühen, Anknüpfungspunkte an die Ideen des Partners zu finden. Dass diese Duette und das abschließende Trio ohne nennenswerte Proben stattfanden, wie Wollny nach dem Konzert im Gespräch erläuterte, minderte keineswegs die Qualität, sondern erhöhte den Reiz. Schließlich geht es um Jazz, also um Improvisation.

Derartige Konzerte sind auch Ausdruck der Philosophie des wohl innovativsten deutschen Jazz-Labels ACT, bei dem die drei Pianisten unter Vertrag sind. ACT agiert wie eine große Musikerfamilie, deren äußerst heterogen Mitglieder in immer neuen Formationen ins Studie und auf die Bühne gehen, stets auf der Suche nach neuen Synthesen. Einen besseren Start hätte die Reihe »Jazz at Berlin Philharmonic« jedenfalls nicht haben können. Zumal das Ganze auch noch einem guten Zweck diente. Die Künstler verzichteten auf ihre Gage, der Erlös der Veranstaltung - rund 20 000 Euro - ging an das UN-Kinderhilfswerk UNICEF. Weitere Konzerte der Reihe sind zunächst für März und April geplant, die Interpreten stehen noch nicht fest.

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