Rettungs - was?

Eine Sprachjury greift voll daneben

  • Lesedauer: 3 Min.
Rettungsroutine. Schon mal gehört? Nein? Kein Wunder. Das Wort steht nicht im Duden, wo ja nicht jedes zusammengesetzte Wort vorkommen kann. Und in anderen Druckerzeugnissen oder im Netz musste man es bisher auch mit der Lupe suchen. Das ist seit Freitag anders. Denn gestern hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort Rettungsroutine zum Wort des Jahres erklärt.

Da staunt der Laie, und es wundert sich der Fachmann. Rettungs – was? Ein Schnelltest bei Google ergab kurz nach Bekanntgabe der Entscheidung lächerliche 1000 Treffer – das ist im Internet nichts. Ein paar Stunden später waren es immerhin schon 4000, am Freitagabend dann schon 8000 Treffer. Sonnabendnachmittag wies Google für Rettungsroutine dann schon knapp 80 000 Treffer aus. Was nichts anderes bedeutet als: Erst durch die Würdigung als Wort des Jahres wurde das Wort überhaupt bekannt. Und bis dahin bezogen sich etliche Treffer nicht etwa auf den von der Sprachgesellschaft gemeinten Sinn – die Beschreibung der schwierigen, schier unendlichen Eurorettung -, sondern auf die Datenrettung auf Festplatten und die Behebung von Computerpannen.

Diese bisherige faktische Nichtexistenz des Wortes Rettungsroutine steht in schönem Gegensatz zu den von der Sprachgesellschaft selbst festgelegten Auswahlkriterien. Worte des Jahres sollen demnach „den öffentlichen Diskurs des Jahres wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet haben". Wie geht das bei einem Wort, das bisher kaum jemand kannte oder benutzte?

Die FAZ schreibt, dass das Wort Rettungsroutine ein paar mal von dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach verwendet und entsprechend im Netz registriert wurde, der aus eher euroskeptischer Sicht die Politik der Eurorettung offen kritisiert. Man mag den Begriff ja treffend finden – aber geprägt hat er den öffentlichen Diskurs keinesfalls. Die Entscheidung für dieses Wort des Jahres ist ähnlich unrealistisch wie die Auswahl von Barack Obama und der EU für die Friedensnobelpreise 2001 und 2012: inhaltlich daneben, den Auswahlkriterien widersprechend.

Auf den Plätzen zwei und drei wird es übrigens nicht besser: Auch hier haben die Sprachwissenschaftler ihre Weltfremdheit ausgelebt. Der zweitplatzierte Begriff Kanzlerpräsidentin für den Regierungsstil von Angela Merkel gehört allenfalls zum elitären Vokabular einiger Kommentatoren und Politologen, das drittplatzierte Bildungsabwendungsprämie ist völlig absurd. Es soll ein Synonym für das umstrittene Betreuungsgeld sein, das es bei Google selbst eineinhalb Tage nach der Entscheidung zum Wort des Jahres nicht einmal auf 2000 Treffer bringt – es existiert faktisch nicht. Der viel griffigere, kritischere und weithin gebräuchliche Begriff Herdprämie kommt bei den Sprachexperten nicht vor. Ein Armutszeugnis.

Erst auf den Plätzen vier und fünf übrigens finden sich zwei Worte, die tatsächlich „den öffentlichen Diskurs wesentlich geprägt haben". Schlecker-Frauen und wulffen. Beide sind so bekannt, dass sie nicht erst erklärt werden müssen. Vielleicht sollten die Wissenschaftler von der Gesellschaft für deutsche Sprache ab und zu mal ihren Elfenbeinturm verlassen.
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