»Genosse Generalsekretär« im Ruhestand
Nach 30 Jahren als Geschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei ist Klaus Eisenreich in Rente gegangen
Auf dem Schreibtisch liegen noch ein paar Papierblätter, ein Aschenbecher und eine Drehmaschine für Zigaretten. »Ich bin fast fertig mit Einpacken«, sagt Klaus Eisenreich, während er sich eine Zigarette kurbelt. »Früher hätte ich Sie allerdings in mein Arbeitszimmer nicht reingelassen«, schmunzelt er. So voll sei alles mit Unterlagen und Ordnern gewesen. Der 65-Jährige steht an diesem Donnerstag vor Weihnachten kurz vor seinem Ruhestand.
Über 30 Jahre war er als Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei (GdP) tätig. Und dabei quasi so etwas wie ein »Sprachrohr« der Polizisten und Feuerwehrleute in der Hauptstadt. Aufgrund seiner präzisen Analysen und pointierten Erklärungen wurde Eisenreich gerne von den Medien wiedergegeben, manchmal sogar von den überregionalen und im Fernsehen.
»Genosse Generalsekretär« begrüßte ihn einmal scherzhaft der CDU-Vorsitzende des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus, Peter Trapp. Eisenreich, der früher auch stark in der SPD aktiv war, ist tief im alten Westberliner Milieu verwurzelt. Damals gab es auch über Parteigrenzen hinweg einen anderen Zusammenhalt, natürlich auch durch die Realität der »Insellage« Westberlins geprägt. »Es war anders«, sagt Eisenreich. »Der Öffentliche Dienst geordnet, die Polizei war es sowieso.« Insgesamt vier Polizeipräsidenten hat er in seiner Zeit bei der GdP erlebt: Klaus Hübner, Georg Schertz, Hagen Saberschinsky und Dieter Glietsch. Wobei Klaus Hübner am meisten Eindruck hinterlassen hat: Der Sozialdemokrat Hübner habe zwischen 1969 und 1987 die Grundsätze der Gewerkschaften umgesetzt und die Polizei geöffnet. Prävention sei die höchste Aufgabe gewesen und nicht das Feuerwehrprinzip, nach dem heutzutage je nach Notlage Polizeiarbeit verrichtet werde. Zudem habe sich die Polizeiführung zu dieser Zeit nicht von der Politik vereinnahmen lassen, betont Eisenreich.
Alles, was nach Schertz kam, sieht er indes weniger positiv: Fast immer ging es nur noch um Kürzungen und Sparmaßnahmen. Die größte Enttäuschung erlebte der Gewerkschafter nach Regierungsantritt der rot-roten Koalition: Dass unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Jahr 2003 über 2000 Azubis der Polizei nicht übernommen wurden, bringt den ehemaligen Weddinger SPD-Direktkandidaten noch heute in Rage. »Sozialdemokrat zu sein, heißt doch, ich kümmere mich um die Zukunft«, sagt Eisenreich. »Und Jugend ist Zukunft.« Heute, wo der Öffentliche Dienst in Berlin total überaltert sei, würden die Azubis von damals schmerzlich fehlen. »Vollausgebildete Polizisten zum Nulltarif, da hätten sich im Jahr 2003 alle anderen Bundesländer gefreut«, sagt Eisenreich kopfschüttelnd, bevor er einen Schluck aus der Tasse mit der Aufschrift »Streik in Berlin 2008, ich war dabei« nimmt. Einkommenskürzungen durch den sogenannten Solidarpakt, Stellenstreichungen. Die Gewerkschaftsarbeit in Berlin war in den vergangenen Jahren häufig schwierig. Viele Beamte hätten inzwischen total resigniert.
Wer Hoffnung hatte, dass sich durch einen CDU-Innensenator Frank Henkel etwas ändern würde, sieht sich unterdessen ebenfalls getäuscht. »Nichts davon, was im Wahlprogramm steht, ist umgesetzt.« Es sei, so Eisenreich, »unredliche Politik«, nicht ehrlich zu sagen: »Es geht nicht, weil das Personal fehlt.« Ob der neue Polizeipräsident Klaus Kandt den Unmut der Polizisten auffangen kann? Eisenreich glaubt, Kandt müsse die Chance dazu bekommen. Er habe als einfacher Polizist erlebt, was es für Probleme gibt. Doch die eineinhalb Jahre amtierende Polizeivizechefin Margarete Koppers habe mit ihrer diskussionsfreudigen und offenen Art zuletzt Maßstäbe gesetzt.
Ganz aufgeben will Klaus Eisenreich die Gewerkschaftsarbeit indes nicht. 500 Kollegen haben ihn per Urwahl als ehrenamtlichen Vertreter für die Beschäftigten der Bürger- und Ordnungsämter gewählt. In diesem Bereich wird zurzeit auf Bezirksebene hart gekürzt. »Genosse Generalsekretär« Eisenreich steht bei Personalversammlungen wieder in der ersten Reihe, während sich seine verantwortlichen Parteifreunde dort erst gar nicht blicken lassen.
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