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Mordversuche aus Fremdenhass

Vor dem Landgericht begann Prozess gegen 25-Jährigen wegen lebensgefährlicher Messerattacken

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Er wirkt völlig normal, ein netter Junge von nebenan, dieser Stephan H. (25). Ein wenig streng, aber doch hellwach. Aber was will das schon heißen. Angeklagt ist er des zweifachen Mordversuchs vor dem Berliner Landgericht. »Aus tiefer Abneigung gegen Ausländer«, will er seine Taten begangen haben, heißt es in der Anklage. Am 9. Oktober letzten Jahres, gegen 21.50 Uhr, betrat er eine Pizzeria in der Wilhelminenhofstraße in Oberschöneweide. Dort befand sich zu dieser Zeit das ahnungslose Opfer allein im Raum.

Wortlos ging H. auf ihn zu, zog ein Filettiermesser mit einer Klinge von 16 Zentimetern und stach auf den völlig Überraschten ein. Immer und immer wieder. Die Klinge brach ab, H. flüchtete in der Überzeugung, den arabischstämmigen Pizzabäcker getötet zu haben. Doch dessen Hilferufe wurden von Straßenpassanten gehört, schnelle medizinische Hilfe konnte ihm das Leben retten. Die Polizei gab eine Fahndung heraus, beschrieb denn Täter als 1,80 Meter groß, muskulös, kurz geschorenes Haar und braune Augen. Wenig später konnte der vorbestrafte Stephan H. in seiner Wohnung in Oberschöneweide festgenommen werden.

Das gleiche Szenario fünf Wochen später in der Haftanstalt Plötzensee. Am 14. November nähert er sich einem vietnamesischen Mithäftling, drückte seinen Mund zu, um Schreie zu verhindern und stach mit einem eingeschmuggelten Küchenmesser immer wieder auf sein Opfer ein. Auch hier konnte schnelle medizinische Hilfe das Schlimmste verhindern. Beide Schwerverletzte werden bleibende Schäden davontragen.

Seitdem versuchen Psychologen im Gefängnis zu ergründen, was in einem Mann vorgeht, der gezielt Menschen ermorden will, die nach seiner Auffassung nicht in Deutschland leben dürfen. So bezeichnet er eine Tat auch als Notwehr. Sein Verteidiger versucht, am Rande des Prozesses zu erklären: Für seinen Mandanten sind Angriffe eines Deutschen auf Nichtdeutsche legitim, ein »Akt der Selbstverteidigung«. H. gehört, soweit bisher bekannt geworden ist, weder der NPD noch einer anderen rassistischen Formation oder Kameradschaft an, er fühlt sich als Einzelkämpfer für die »Sache der Deutschen«. Auch seinem Pflichtverteidiger verweigert er jeglichen Kontakt, so dass die Motive noch im Dunkeln liegen.

H. lebt in einem Umfeld, die zu den Hochburgen der NPD zählt, wo in Kneipen fremdenfeindliches Stammtischgeschwätz alltäglich ist. Unweit der Pizzeria, wo die erste Tat geschah, liegt auch der Szenetreff der Rechten »Zum Henker«. All das könnte den berufslosen Sozialhilfeempfänger in seinen Hassfantasien gefestigt haben. Und in der Überzeugung, gegen »Überfremdung« etwas tun zu müssen. Der Versuch einer Erklärung könnte sein: Ohne Arbeit, ohne Beruf, in bescheidenen Wohnverhältnissen und auf Pump lebend suchte er Schuldige für seine Misere. Und die sind für ihn Berliner, die aus seiner Sicht anders aussehen oder anders sprechen.

Mediziner wollen inzwischen eine schwere Psychose festgestellt habe, die dazu führen könnte, dass H. zum Abschluss des Verfahrens nicht verurteilt, sondern in eine Psychiatrie eingewiesen wird. Am 10. Januar will sich der mutmaßliche Täter zu seinen Motiven äußern, »Fragen stellen« und nicht Fragen beantworten.

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