»In« Irak oder »im« Irak?

Ein Buch weist den Weg durch den Irrgarten der grammatischen Regeln

Dass deutsche Schüler ihre eigene Muttersprache nicht richtig beherrschen, ist seit PISA hinlänglich bekannt. Doch bei aller begreiflichen Enttäuschung über diese Tatsache wird eines gern vergessen: Auch viele Erwachsene (Lehrer eingeschlossen) fühlen sich im Umgang mit den komplizierten Regeln der Grammatik häufig überfordert.

Wie groß bisweilen die Unterschiede sind zwischen der Sprachnorm und dem Sprachgefühl des Einzelnen, zeigte schon vor Jahren der Linguist Hans Eggers. Er legte 103 studierten Germanisten die folgenden Sätze vor: »Erbarme dich der Seelen, derer wir gedenken.« Und: »Erbarme dich der Seelen, deren wir gedenken.« Auf die Frage, welcher Satz grammatisch korrekt sei, gaben nur 25 die richtige Antwort: der zweite. Jeder Mensch macht im Sprachalltag grammatische Fehler. Einige davon sind uns hinterher peinlich, von anderen wissen wir gar nicht, dass es welche sind. Aber selbst wenn wir genügend Zeit und Muße zum Nachdenken haben, gibt uns die deutsche Sprache oft schwere Rätsel auf. Man sitzt dann, um pro domo zu reden, ratlos vor dem Computer und sucht verzweifelt nach der richtigen Wendung. Heißt es beispielsweise: »Jeder Mann und jede Frau ist aufgerufen, sich sportlich zu betätigen.«? Oder heißt es: »Jeder Mann und jede Frau sind aufgerufen, sich sportlich zu betätigen.«? Sagt man »in Irak« oder »im Irak«? Ist eMail oder E-Mail die korrekte Schreibweise? Für viel Verwirrung sorgt auch das so genannte Fugen-s, das in manchen Wortzusammensetzungen vorkommt, in anderen nicht. Wie also heißt es richtig: Schadenersatz oder Schadensersatz, Einkommensteuer oder Einkommenssteuer? Nur die wenigsten haben gleich das geeignete Nachschlagewerk zur Hand, um auf solche Fragen rasch eine Antwort zu finden. Außerdem sind Wortschöpfungen wie E-Mail, das ist übrigens die korrekte Schreibweise, erst jüngst in die deutsche Sprache eingewandert. Die Technische Hochschule in Aachen hat daher vor Jahren ein »Grammatisches Telefon« eingerichtet. Unter Federführung des Germanistischen Instituts beantworten hier Sprachwissenschaftler von Montag bis Freitag (10 bis 12 Uhr) unter der Nummer 0241-8096074 Fragen zur Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung. Kostenlos, versteht sich. Als langjähriger Mitarbeiter dieser viel genutzten Einrichtung hat der Journalist Klaus Mackowiak jetzt in einem Buch »Die 101 häufigsten Fehler im Deutschen« zusammengefasst. Damit seien über 95 Prozent aller telefonischen Anfragen abgedeckt, versichert der Autor: »Und beantwortet man diese Fragen dann noch, müssten eigentlich über 95 Prozent der Probleme des Schreiballtags gelöst sein. So die Idee dieses Buches.« Deren Umsetzung darf man getrost als gelungen bezeichnen, auch wenn Mackowiak es an einigen Stellen mit den Fachausdrücken übertreibt. Da jedoch sämtliche Fehler an Hand von Beispielen ausführlich erörtert werden, kann der Leser zumindest erahnen, was etwa mit »Infinitiv als Ersatz für das Partizip II« gemeint ist. Die tröstliche Botschaft des Buches lautet: Bei der Anwendung der grammatischen Regeln gibt es erstaunlich viele Freiheiten. So sind im oben genannten Beispiel beide Varianten erlaubt: »Jeder Mann und jede Frau ist/sind aufgerufen, sich sportlich zu betätigen.« Überhaupt lassen deutsche Linguisten in Zweifelsfällen oft die salomonische Sowohl-als-auch-Lösung gelten. Demnach kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er lieber Schadenersatz oder Schadensersatz sagt, Einkommensteuer oder Einkommenssteuer. Hingegen sind Wendungen wie »zu Beginn diesen Jahres« oder »mit einem Auto diesen Typs« grammatisch unzulässig, auch wenn sie heute fast inflationär gebraucht werden. Nach den Beugungsregeln für Demonstrativpronomen muss es vielmehr heißen: »zu Beginn dieses Jahres« und »mit einem Auto dieses Typs«. Man sagt ja auch nicht »das Ende diesen Liedes«. Apropos grammatisch. Wer dieses Adjektiv benutzt, wird nicht selten belehrt, dass nur »grammatikalisch« die korrekte Ausdrucksweise sei. Weit gefehlt. In Wirklichkeit sind beide Wörter erlaubt, »grammatikalisch« gilt jedoch als veraltet. Ein kurzes Wort noch zum Irak-Problem: Staatennamen führen gewöhnlich keinen Artikel mit sich. Bis auf einige Ausnahmen: die Schweiz, die Türkei, die Slowakei etc. Bei anderen Namen wiederum schwankt das grammatische Geschlecht, sie können sowohl männlich als auch neutral sein: (der) Irak, (der) Libanon, (der) Sudan. Folglich ist es Geschmackssache und keine Frage der sprachlichen Kompetenz, ob man »in Irak« oder »im Irak« sagt. Auf die Probleme der neuen Rechtschreibung geht der Autor nur am Rande ein - in der berechtigten Hoffnung, dass die meisten orthographischen Irritationen sich im Schreiballtag irgendwann von selbst erledigen. Die mit Abstand häufigste Frage bei telefonischen Sprachauskünften ist die nach der Getrennt- oder Zusammenschreibung, etwa bei Verbindungen aus Substantiv und Partizip. Heißt es also »freudestrahlend« oder »Freude strahlend«? Hier gilt folgende Faustregel: Steht das Substantiv in einer solchen Verbindung nicht für sich allein, sondern für eine kleine Wortgruppe, zum Beispiel für die Wortgruppe »vor Freude« (wegen: vor Freude strahlen), schreibt man grundsätzlich zusammen. Mithin heißt es »freudestrahlend«. Dagegen kann man »Aufsehen erregend« (wegen: Aufsehen erregen) sowohl getrennt als auch zusammenschreiben. Mackowiaks Buch, so darf man resümieren, ist ein nützliches (und dazu preiswertes) Nachschlagewerk für alle, die mit der grammatischen Terminologie einigermaßen vertraut sind. Im Zweifel genügt zudem ein Blick in das Glossar der wichtigsten Fachausdrücke. Dem eiligen Leser hingegen seien die zahllosen Beispiele empfohlen, die man in künftigen Auflagen v...

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