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Leben auf einem Ponyhof

Fotos des Schriftstellerehepaars Erwin und Eva Strittmatter aus vier Jahrzehnten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Ja, sie hatten tatsächlich nicht nur den selben Vornamen. Sie sahen sich wirklich zum Verwechseln ähnlich: der beliebte Schriftsteller Erwin Strittmatter und der großartige Schauspieler Erwin Geschonneck. Es gibt eine schöne Anekdote, die davon erzählt, dass Strittmatter bei einem Termin immer wieder als Geschonneck angesprochen wird, und dann sieht er den echten Geschonneck, der fröhlich Autogramme gibt - im Namen von Erwin Strittmatter!

Einen kurzen Augenblick darf der Betrachter also getrost glauben, er sehe Geschonneck, wenn er diese Ausstellung mit Fotografien des Schriftstellerehepaars Erwin und Eva Strittmatter besucht. Doch dann wird schnell klar, der Mann mit den Pferden, der eine Kutsche lenkt, der einem Pony den Hals krault und breitbeinig und stolz wie ein Bauer auf einer Wiese steht - das kann nur Strittmatter sein, das ist er in seinem Schulzenhof.

Gezeigt wird die Fotoausstellung noch bis Mitte Januar im Sitzungszimmer der Linksfraktion im Potsdamer Landtag. Aufgenommen wurden die Bilder zwischen 1954 und 1994 auf Strittmatters Hof von Edith Rimkus-Beseler. Es handelt sich um die Frau des Schriftstellers Horst Beseler, dessen Kinderbuch »Käuzchenkuhle« in der DDR Schulstoff war. Die Familien Beseler und Strittmatter waren miteinander befreundet. Man teilte die Leidenschaft für Pferde und Literatur.

Das erklärt, wie der mittlerweile 87 Jahre alten Fotografin solche Bilder gelingen konnten. Die Bilder genügen nicht nur künstlerischen Ansprüchen. Beeindruckend etwa Erwin Strittmatter, im Sattel eines Pferdes im Gegenlicht fotografiert, als wäre er ein Cowboy, der durch die Prärie reitet. Die Fotos offenbaren auch sehr private, intime Momente, präsentieren den alten Erwin Strittmatter und seine Frau Eva beispielsweise an der Kaffeetafel. Der Tisch ist für mehr als die zwei Menschen gedeckt, die bei diesem Schnappschuss zu sehen sind. Man glaubt, gleich werde sich die Fotografin wieder dazusetzen.

Die Bilderrahmen, besorgt vom Strittmatter-Verein, passen eigentlich nicht zu einer Kunstausstellung. Wenn sie nur schlicht wären, so wäre es gut. Aber sie verbreiten eine Büroatmosphäre. Sie wären geeignet, vor einer Amtsstube über die Öffnungszeiten zu informieren. Glücklicherweise sind die Fotos aber so gut, dass sie diesen Eindruck verwischen. Sie wirken selbst in diesem funktional eingerichteten Sitzungszimmer, strahlen sogar hervor hinter einem Kleiderständer, der beiseite gerückt werden muss, um auch die letzten Tafeln der Ausstellung betrachten zu können.

Etliche Bilder sind mit Texten des Schriftstellerehepaars kombiniert. So stehen neben einem Familienfoto mit Kindern die Zeilen: »Mein Sohn Matthes schenkte mit zwei kleine Schiffe. Sie sind aus goldenem Stanniolpapier...« Matthes habe erzählen müssen, dass es sich bei den Goldpapierfetzchen um Schiffe handele und andere erkannten es auch nicht, schreibt Erwin Strittmatter. »Ich denke an mein erstes Gedicht. Es war ein Fetzchen bekritzeltes Papier, und niemand wollte es als Gedicht gelten lassen.«

Oder der Schimmel. »Hundert Monde ist's her, da kam sie zu mir: Eine arabische Schimmelstute«, hat Erwin Strittmatter notiert. »Ohren wie Dornen, Nüstern gleich kleinen Kratern. Ich saß auf ihr, sie trug mich umher...«

Manchmal fehlen Texte. Dann sprechen die Fotos für sich. Sehr hübsch die Ironie, mit der neben einem Porträt Strittmatters mit Halbglatze ausgerechnet ein Pferdekopf mit voller Mähne platziert ist, einer Mähne, die weit über die Augen des Tieres reicht.

Ein Begleittext widmet sich der Verunglimpfung Erwin Strittmatters, dem bekanntlich vorgeworfen wird, er habe sich »zwei Diktaturen angedient« - als Angehöriger einer SS-Polizeieinheit im Zweiten Weltkrieg und als Stasi-Spitzel in der DDR. Der Begleittext ist eine intelligent formulierte Erwiderung darauf. Die Erwiderung schenkt denen nichts, die aus durchsichtigen Motiven Strittmatters Leben und Werk in Frage stellen wollen und damit zugleich die DDR treffen wollen, in der er seine Bücher schrieb und seine Leser begeisterte. Bedauerlicherweise ist dieses Plädoyer für Strittmatter am Ende zu angriffslustig. In einem Rundumschlag geht es sogar gegen die Landtagsabgeordnete Birgit Wöllert (LINKE), die in einem Atemzug mit konservativen Verleumdern des Schriftstellers genannt wird, was sie nicht verdient. Die LINKE sah darüber hinweg. Sie zeigt die Ausstellung in ihrem Sitzungssaal, Birgit Wöllert, die dem Strittmatter-Verein angehört, hat die Schau eröffnet. Die überzeugendsten Argumente finden sich in den Fotos und dort in den Augen von Erwin Strittmatter. Mal lächelnd, mal skeptisch und mal nachdenklich schaut der Schriftsteller ins Objektiv, angemessen dem Leben mit seinen Glückseligkeiten und seinen Schwierigkeiten.

Die Ausstellung war vorher bereits in der Cottbuser Stadtbibliothek zu sehen. Ab 26. Januar soll sie bis Ostern im Heidemuseum in Spremberg gezeigt werden. Auch das Strittmatter-Gymnasium in Gransee sei interessiert, sagt Manfred Schemel vom Erwin-Strittmatter-Verein. Schemel bemüht sich überdies um einen Ausstellungsort in Berlin.

»Erwin Strittmatter - Lebensort Schulzenhof«, bis Mitte Januar, Raum 137, Landtag Brandenburg, Am Brauhausberg, Potsdam. Da der Raum zuweilen belegt ist, am besten vorher unter Tel. (0331) 966 15 35 erkundigen

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