Camelot der Ostküste
Die einstige Jüdische Mädchenschule in Mitte beherbergt nun »The Kennedys«
Solange wir leben, werden wir niemals wieder einen solchen Tag wie heute erleben. Das äußerte John Fitzgerald Kennedy am Abend nach seinem umjubelten Besuch in Berlin am 26. Juni 1963. Mehr als Recht sollte er damit behalten. Keine fünf Monate später, am 22. November, fiel er bei einem wahlkämpferischen Autokorso in Dallas einem bis heute ungeklärten Attentat zum Opfer. Der Enthusiasmus für diesen 35. Präsidenten der USA schlug da in weltweite Trauer um und sorgte wie stets bei frühem Tod für das Entstehen eines Mythos. Auch ihm widmet sich neben der Historie der gesamten Familie das Museum The Kennedys. Als private Gründung existierte es seit 2006 am Pariser Platz und fächert seine umfangreiche Sammlung nun an neuem Ort auf.
Seit Ende November kann der interessierte Gast die vielen Exponate und Memorabilien in der zweiten Etage der einstigen Jüdischen Mädchenschule an der Auguststraße besichtigen. Wo lange Jahre Leerstand geherrscht hatte, laden Galerien und Gaststätten zu geistigem und kulinarischem Genuss, zu Disput und Verweilen. Erheblich mehr Platz für die Kennedy-Kollektion steht auf dem L-förmigen Grundriss zur Verfügung, mit langen Strecken, von denen kleinere Kabinette für Spezialkapitel abzweigen. Weiß getünchte Wände bieten den Ausstellungsstücken den neutralen Grund, auf dem sie sich entfalten können.
Auf einem riesigen Foto aus glücklichen Tagen empfangen John F. und Gattin Jacqueline gleich bei Eintritt. Daneben zeigt ein Stammbaum die sechs Generationen umfassende Geschichte beider Clans auf, die Ende des 19. Jahrhunderts ihre Heimat Irland der großen Hungersnot wegen für die Vereinigten Staaten verließen. Arm begannen die Kennedys und Fitzgeralds, katholisch beide, im protestantischen Boston, dem Zentrum der Irland-Flüchtlinge. Es war John F.s Vater, der durch geschickte Alkohol- und Börsenmaklergeschäfte den Reichtum der Familie begründete und die Liaison mit den Fitzgeralds einging. Wir wollen nur Gewinner, hieß sein Motto. Das setzte seine Kinder unter Druck. Nach dem Flugzeugabsturz des ältesten Sohnes ruhten alle Hoffnungen auf John F., einem kränklichen Knaben mit guten Schulnoten, schließlich mit dem Abschluss auf der Harvard University. Präsident Roosevelt, den der Vater unterstützt hatte, machte diesen zum Botschafter in England, was John F. ausgiebige Reisen ermöglichte. Die Politik begann ihn zu interessieren.
Ab 1946 gewann er für die Demokratische Partei dreimal ein Mandat für das Repräsentantenhaus in Washington, wurde 1952 Senator in Massachusetts, erreichte 1961, worauf sein älterer Bruder vorbereitet worden war: den Präsidentenstuhl der USA. Er, der als Journalist begonnen hatte, und seine Gattin, eine frühere Bildjournalistin, erkannten rasch die Wirkkraft des Fotos für die politische Karriere. Reporter begleiteten den Alltag des Paares, inszenierten nach der Geburt der ersten Kinder so etwas wie eine heilige Familie, die den Amerikanern auf und in den großen Illustrierten das Bild vom »sauberen« Politiker lieferten. Außenpolitisch hatte der Präsident, ein smarter Typ mit zahllosen Amouren, etliche Probleme am Hals: die Querelen um Kuba, den Vietnam-Krieg, den Bau der Berliner Mauer. Kennedy, ganz Sohn seiner Kaste, hatte sich nicht gegen die Kommunistenhatz der MacCarthy-Ära gestellt, obgleich er als liberal galt und für einen neuen politischen Stil stand. Die Einladung nach Westberlin war vielleicht der Höhepunkt seines Triumphs auf dem internationalen Parkett.
Um sie rankt sich verständlicherweise auch eine Ausstellung in Berlin. Nach den vielen Fotos zu Jugend und Lebensweg sowie den Magazin-Titelseiten mit den geradezu ikonographisch gewordenen Familienkonterfeis erreicht man jenen Raum, in dem halbstündig ein Zusammenschnitt des Berlin-Besuchs läuft, flankiert von persönlichen Gegenständen: Goldenes Buch mit Kennedys Eintrag, Koffer, Aktentasche, doppelt genähtes weißes Hemd, das sein lebenslang getragenes Korsett verbarg. Andere Kabinette widmen sich dem Schicksal seines ebenfalls erschossenen Bruders Robert und zeigen Bilder der Begräbnisfeierlichkeiten, auch sie Ikonen der Geschichte, aufgenommen von prominenten Fotografen wie Will McBride, Robert Lebeck. Selbst für weitere Politikerporträts, von den großen Drei, Churchill, Roosevelt, Stalin, in Jalta bis zu Angela Merkel und Barack Obama, ist Raum.
Nur knapp 1000 Tage amtierte John F., bis ihm der mysteriöse Anschlag das Heft aus der Hand nahm. Ob er hätte einlösen können, was die Welt von ihm in den schwierigen Zeiten des Kalten Krieges erwartete, bleibt so ungewiss. In der Etage der Jüdischen Mädchenschule darf er fürderhin der strahlende Held sein, als den ihn eine nach Legenden süchtige Welt wohl noch auf lange sehen will.
Di.-So. 11-19 Uhr, Auguststr. 11-13, Mitte, Telefon 20 65 35 70
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