Die Schere öffnet sich
Studie: Einkommen immer ungleicher verteilt
Ihrer Untersuchung zugrunde liegen die Zahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, nach der sich die Verteilung des Sozialprodukts in Einkommen von Inländern aus abhängiger Arbeit sowie Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen unterteilen lässt. Erstgenannte umfassen alle Beschäftigtengruppen - von Arbeitern, Angestellten und Auszubildende über Beamte, geringfügig Beschäftigte und leitende Angestellte bis zu Vorstandsmitgliedern. Gewertet werden die Bruttoeinkommen, damit auch Jahressonderzahlungen, Zulagen oder Prämien vor Steuern.
Nach Angaben des IAQ mache sich die ungleiche Entwicklung besonders seit 2003 bemerkbar. Diese zeitliche Zuordnung weise »auf die engen Zusammenhänge zwischen der Einkommensverteilung, der Arbeitsmarktentwicklung und den Hartz-Reformen hin«: Zeitgleich mit dem steilen Anstieg der Erwerbslosigkeit wird mit der Agenda 2010 unter der rot-grünen Bundesregierung der Niedriglohnsektor extrem ausgeweitet. »Die Gewerkschaften geraten mit ihrer Tarifpolitik unter Druck«, heißt es weiter.
Der in den Jahren 2008 und 2009 folgende tiefe Einbruch der Unternehmens- und vor allem der Vermögensgewinne infolge der weltweiten Wirtschaftskrise sei 2010 »weitgehend überwunden«. Ab dem Zeitpunkt steigen die Gewinne wieder an, die Unterschiede zu den Arbeitseinkommen weiten sich weiter aus. Insgesamt sei der Anteil der Arbeitseinkommen seit 1995 im Jahresdurchschnitt um zwei Prozent gestiegen, bei den Unternehmens- und Vermögensgewinnen waren es 3,7 Prozent.
Die Forscher betonen, dass der Anteil von Arbeitseinkommen am Sozialprodukt sinke. Die Untersuchung bezieht sich lediglich auf nominale also nicht inflationsbereinigte Größen. Zieht man die reale Kaufkraft hinzu, so ergibt sich seit Jahren ein Reallohnverlust.
»Die Entwicklung hat schon früher eingesetzt«, sagt Dierk Hirschel, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand, gegenüber »nd«. Sie habe Mitte der 90er Jahre mit der verschärften Tarifflucht der Arbeitgeber besonders in Ostdeutschland begonnen. »Die Tarifbindung liegt heute bei rund 60 Prozent, Tarifabschlüsse kommen nur bei drei von fünf Beschäftigten an.«
Zudem sei der Wandel von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft vom Ausbau prekärer Beschäftigung begleitet gewesen«, so Hirschel weiter. Und das sei »politisch gewollt« gewesen. Die gesamtgesellschaftliche Lohnentwicklung liege damit »nicht in der Verantwortung der Gewerkschaften«.
Diese beiden langfristigen Trends - Tarifflucht und die Prekarisierung des Arbeitsmarktes - seien durch die Hartz-Gesetze 2003 noch einmal verschärft worden, die Löhne damit weiter unter Druck geraten. In den letzten zwei Jahren wurde zwar durch bessere Tarifabschlüsse die »Ungleichheitsdynamik« etwas gebremst. Der langfristige Trend sei damit aber leider nicht aufgehoben, so Hirschel.
DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki forderte, diese »Fehlentwicklung endlich zu stoppen«. Gegenüber »nd« sagte er, die Folgen seien »verheerend«: »Die Steuerprivilegien für Vermögende haben den Trend zur wachsenden Ungleichheit verstärkt. Am Ende stehen den immer reicher gewordenen Vermögenden immer ärmer werdende Arbeitnehmerhaushalte und klamme öffentliche Kassen gegenüber.« Der DGB fordere darum ein gerechtes Steuersystem, »das die Vermögenden stärker zu Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzieht und den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.