Syrer im Teufelskreis von Krieg und Krise
Sanktionen belasten die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung
Bei der Explosion einer Bombe am Donnerstagabend in Damaskus wurden mehrere Menschen getötet und viele zum Teil schwer verletzt. Der Sprengsatz explodierte an der Qassioun-Tankstelle unweit des Hamish-Krankenhauses in Barzeh, einem dicht besiedelten Wohngebiet. Zur Zeit der Explosion warteten viele Fahrzeuge vor der Tankstelle. Fotos zeigen Zerstörungen an Gebäude und Fahrzeugen, Kanister sind durcheinander gewirbelt. Viele Anwohner stellen ihre Kanister oft in langen Reihen auf, um sich Stundenlanges Warten zu ersparen.
Diesel, Heizöl und Kochgas sind knapp geworden in Syrien, seit die Europäische Union im September 2011 in Gefolgschaft der US-Sanktionen gegen Syrien ihrerseits den Kauf von Öl aus Syrien gestoppt hat. Das Embargo trat im November 2011 in Kraft, rechtzeitig zum Winter. Bis dahin gehörten europäische Länder zu den Hauptabnehmern des syrischen Öls, das mit 150 000 Barrel pro Tag für das energiehungrige Europa nur etwa 0,8 Prozent des Ölimports ausmacht. Für Syrien war Europa mit mehr als 90 Prozent der größte Abnehmer für das Öl. Deutschland war mit 34 Prozent der wichtigste Kunde, gefolgt von Italien (31 Prozent) und Frankreich (11 Prozent).
Da Syrien nur über zwei Raffinerien verfügt, wurde ein Teil des Öls in europäischen Raffinerien zu Benzin, Heizöl oder Kochgas verarbeitet und zurück nach Syrien geliefert. Das Ölembargo brachte auch die Entwicklungsarbeit internationaler Ölgesellschaften in Syrien zum Erliegen, was viele Syrer eine gute Anstellung oder Ausbildung kostete. Zusätzlich werden andere Staaten von der EU und den USA unter Druck gesetzt, die sich das Embargo nicht zu eigen machen. Versicherungs- und Transportfirmen - die vielfach in Europa ansässig sind - drohen ebenfalls Strafmaßnahmen, sollten sie Schiffe für den Transport syrischen Öls an andere Abnehmer vermieten oder die Ladung versichern wollen.
Mittlerweile hat Syrien neue Verträge mit Iran, China und Russland abgeschlossen, dennoch leidet die Versorgung der einfachen Leute unter den Sanktionen. Lange Schlangen bilden sich insbesondere in den kalten Wintermonaten vor Tankstellen, lange müssen die Syrer auf die Lieferung von Kochgaszylindern warten, wenn sie den hohen Schwarzmarktpreis nicht bezahlen wollen oder können.
Kochgas wird in nahezu allen syrischen Haushalten zum Kochen gebraucht. Ein Kochgaszylinder, der vor Beginn der Unruhen 250 Syrische Pfund kostete (etwa 3 Euro) und einer sechsköpfigen Familie zwei Wochen reichte, wird auf dem Schwarzmarkt heute zum zehnfachen Preis gehandelt.
In Aleppo kostet ein Gaszylinder auf dem Schwarzmarkt inzwischen 5000 Syrische Pfund (etwa 52 Euro), berichtete vor wenigen Tagen eine Einwohnerin telefonisch. Staatliche Stellen verkaufen Gaszylinder zum Preis von etwa 500 Syrischen Pfund, die Wartezeiten betragen oft mehr als einen Monat.
Angriffe der Aufständischen auf den gesamten Energiesektor des Landes haben zudem Schäden in Milliardenhöhe verursacht und sorgen immer wieder für Unterbrechungen bei der Versorgung der Bevölkerung. Mitarbeiter von Energiebetrieben oder der zuständigen Ministerien werden bedroht, entführt und ermordet.
Der syrische Außenminister Walid Mou’allem hat gegenüber den Vereinten Nationen mehrmals auf die Folgen der Sanktionen für die syrische Bevölkerung hingewiesen und bezeichnete die Maßnahmen als »Wirtschaftskrieg« gegen Syrien.
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