Bis zum Tod zu Hause

Die Pflege durch Angehörige ist wünschenswert, Ehrenamtliche sollen helfen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Ehrenamt wird für die Pflege immer wichtiger, stellte am Freitag Sozialminister Günter Baaske (SPD) fest. Eine Gesellschaft mit immer mehr alten und immer weniger jungen Menschen stößt bei der Pflege auf Probleme, die in diesem Ausmaß in früheren Zeiten völlig unbekannt waren. Derzeit leben in Brandenburg rund 96 000 Pflegebedürftige, fast die Hälfte davon Demenzkranke. Vor zehn Jahren noch waren es 68 000, erklärte Baaske. Im Jahr 2030 werden es voraussichtlich 160 000 sein.

Um alle diese Menschen professionell versorgen zu können, müssten jährlich 2000 Altenpfleger hinzukommen, sagte Baaske. Das sei jedoch »völlig illusorisch«, derzeit würden »mit Ach und Krach« 400 pro Jahr ausgebildet. Andererseits gibt es eine Reihe arbeitsloser Fachkräfte, merkte er an.

Das Ziel der Politik sei es nicht, »ein Pflegeheim ans andere zu bauen«. Vielmehr wolle man der Tatsache Rechnung tragen, dass die meisten Menschen ihr häusliches Umfeld nur sehr ungern verlassen und lieber daheim gepflegt und betreut werden wollen. Familienangehörige, die diese Pflege übernehmen müssen, stehen dabei vor einer für sie schwierigen Aufgabe. »Bei der Doppelbelastung von Beruf und Pflege brauchen sie Unterstützung«, sagte Baaske. Wenn es machbar sei, dann sollte diese Pflege bis zum Tod andauern, damit die Alten nicht ins Heim müssen. Pfleger seien auf funktionierende Nachbarschaft, kluge Arbeitgeber und unkomplizierte Hilfe durch Ehrenamtliche angewiesen.

Baaske stellte das Modellprojekt »Vereinbarkeitslotsen Beruf und Pflege« vor, das in Eisenhüttenstadt startet und mit 140 000 Euro Lottogeld ausgestattet ist. Die starke Überalterung in Eisenhüttenstadt und Umgebung schafft heute dort schon eine Lage, auf die sich andere Gebiete in Deutschland noch vorbereiten können. Aktivistin Jana Liebhart schilderte, wie sie im Rahmen des Pilotprojekts Kontakt zu Arbeitgebern aufnimmt und über die gesetzlichen Möglichkeiten für die Unterstützung von Beschäftigten informiert, die daheim Angehörige pflegen.

Im Modellprojekt werden Kontaktpersonen rekrutiert, die einspringen, wenn völlig überlastete Familienangehörige mal in Ruhe einkaufen wollen, selbst zum Arzt müssen oder zum Friseur gehen. Es gibt auch Schulungen, wie man die Angehörigen beraten kann.

Rund 44 000 Brandenburger sind an Alzheimer erkrankt und wegen der steigenden Zahl alter Menschen muss damit gerechnet werden, dass es in Zukunft noch viel mehr werden, sagte Birgitta Neumann, die seit 2002 den Auf- und Ausbau von Betreuungsangeboten koordiniert. Ihr zufolge gibt es derzeit 220 Betreuungsangebote, über 2150 ehrenamtliche Helfer seien für die Begleitung von Menschen mit Demenzerkrankung geschult worden. Pro Jahr leisten sie insgesamt rund 200 000 Stunden ehrenamtliche Arbeit. Sie gehen mit Erkrankten spazieren, reden mit ihnen, singen oder lesen etwas vor. »Wir sind erstaunt, wie viele Menschen es gibt, die sich dafür interessieren«, sagte Neumann. Unter den ehrenamtlichen Pflegekräften seien Verwaltungsangestellte, Handwerker, ehemalige Bürgermeister, Langzeitarbeitslose.

Helga Zimmer aus Potsdam erzählte, ihr schönster Lohn sei die Frage beim Abschied: »Wann kommen Sie wieder?« Unabdingbar für solche Laienpfleger sei eine Schulung, hieß es. Dabei sei viel über die Krankheit zu lernen. Oft wissen Familienangehörige so gut wie nichts über Möglichkeiten der Unterstützung, ist eine Erfahrung der Kontaktpersonen. Die Helferin Jana Liebhart lobte Unternehmer, die für die Probleme ein offenes Ohr haben und sich beraten lassen. Allerdings sollte man auch nicht übertriebene Forderungen an Firmenchefs stellen. Wer allerdings bereit sei, sich auch in die Situation der Unternehmer hineinzudenken, der könne dann auf Verständnis hoffen. Es gebe die Möglichkeit, pflegenden Beschäftigten flexible Arbeitszeiten anzubieten, einen Arbeitsplatztausch, eine Teilzeitregelung, Heimarbeit und eine veränderte Arbeitsplatzausstattung. »Die Firmenchefs wissen, wir kommen nicht mit dem goldenen Löffel und sind auch nicht in der Lage, einen großen Sack mit Geld zu öffnen.«

Sozialminister Baaske verwies auf die kleinteilige brandenburgische Wirtschaft, wo in den seltensten Fällen eine firmeneigener Personalchef das Familienpflegegesetz auf die Möglichkeiten abklopft. In Größenordnungen werde dieses Gesetz nicht greifen können, Handwerker und kleine Gewerbetreibende seien mit der Bürokratie »völlig überfordert«. Projektkoordinator Ulrich Binnert ergänzt: »Betriebe können nicht existieren, wenn die Hälfte der Belegschaft wegfällt.«

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