Die SPD braucht eine Pause

  • Stefan Liebich
  • Lesedauer: 3 Min.
Stefan Liebich ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei.
Stefan Liebich ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei.

Berlin im Jahr 2013. Der Wowereit-Henkel-Senat ist die unbeliebteste Landesregierung Deutschlands. Laut dpa ist nur noch ein Viertel der Berlinerinnen und Berliner mit dessen Arbeit zufrieden. Kein Wunder, mehrere Senatsmitglieder wurden bereits ausgetauscht, die Mieten explodieren und S-Bahn-Fahren wird zum Lotteriespiel. Der Innensenator verstrickt sich im NSU-Skandal, statt den Kampf gegen Rechtsextremismus offensiv zu führen. Auf das Volksbegehren zur Gründung eines Stadtwerks zur Energieversorgung finden SPD und CDU keine sinnvolle Antwort. Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor wurde geschleift und im Bundesrat unterstützt dieser Senat den gesetzlichen Mindestlohn nicht mehr. Nicht zu vergessen das Krisenmanagement Flughafendesaster.

Inzwischen hört man Rufe nach dem Rücktritt des Regierenden sowie nach Neuwahlen aus allen Ecken der Stadt. Nur was kommt dann? Die SPD ist in Umfragen schwächer als die CDU und so zerstritten wie früher. Und es ist offen, ob sich jener Flügel bei Bündnis 90/Die Grünen durchsetzt, der als grünlackierte FDP die CDU an der Macht halten will.

Erinnern wir uns: Ein schwarz-roter Senat führte in den 1990er Jahren mit einer Mischung aus Größenwahn und Westberliner Filz unsere Stadt an den Abgrund und konnte schließlich nur durch die Zusammenarbeit von PDS, Grünen und FDP gestoppt werden, die gemeinsam begannen, Unterschriften für ein Volksbegehren über die Auflösung des Abgeordnetenhauses zu sammeln. Die SPD regiert in Berlin seit dem Mauerfall und viele dort glauben, dass dies ein Naturgesetz sei. Ich hingegen glaube, dass sie mal eine Pause braucht.

Es gibt immer Alternativen, aber die kommen nicht von ungefähr. Deshalb schlage ich den Landesverbänden unserer Partei DIE LINKE und von Bündnis 90/Die Grünen vor, ernsthaft über Deutschlands erste Landesregierung ohne SPD und CDU nachzudenken. Nicht gleich als Modell für die ganze Republik, sondern als konkrete Antwort auf die Unfähigkeit des Senats.

Wo, wenn nicht in Berlin wäre dies möglich: Sowohl bei den Bundestagswahlen 2009 als auch bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2001 stimmten über 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler für unsere Partei. Ein solches Potenzial haben auch die Grünen. Die LINKE setzt sich für ein weltoffenes, tolerantes und ökologisches Berlin ein. Wir wollen ein kommunales Wahlrecht für Berlinerinnen und Berliner ohne EU-Pass, engagieren uns für ein echtes Stadtwerk und können auf die teure Verlängerung der Stadtautobahn verzichten. Wir sind für bundesgesetzlich geregelte Mietobergrenzen und würden dafür im Bundesrat ebenso aktiv werden wie für einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Linkspartei kämpft für eine bessere Ausstattung der Berliner Schulen, ein zukunftssicheres Personalkonzept im öffentlichen Dienst und ist gegen die Blockade einer nachhaltigen Liegenschaftspolitik, wie sie durch den Finanzsenator praktiziert wird. Positionen, die man auch bei den Berliner Grünen findet. Gemeinsam wären mehr Transparenz, mehr Zuhören, mehr Diskurs, mehr Mitmachen möglich.

Natürlich gibt es auch klare Differenzen. Wir wollen den Betrieb der S-Bahn nicht an Private vergeben, wir sind gegen die Hartz-Gesetze, von den Grünen befürwortete Auslandseinsätze der Bundeswehr lehnen wir im Bundestag ab. Die Verschiedenheit von Parteien liegt in der Natur der Sache. Schlichte Antworten finden aber nur jene, die andere Parteien als unangenehme Krankheiten wahrnehmen und daher Regierungsverantwortung rundweg ablehnen. Erfreulicherweise ließ sich unsere Partei in den Landtagswahlkämpfen von Mecklenburg-Vorpommern, im Saarland und auch in Niedersachsen davon nicht beirren, und das gilt auch für den kommenden Bundestagswahlkampf. Nicht auf das »ob«, sondern auf das »was« und »wie« kommt es an, und da haben wir in Berlin eine Menge Erfahrungen gesammelt.

»Die Linke befindet sich nicht in babylonischer Gefangenschaft der Sozialdemokratie«, hat meine Fraktionskollegin Gesine Lötzsch zu meinem Vorschlag gesagt. Es sei immer gut, den Wählerinnen und Wählern Alternativen aufzuzeigen. Genau.

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