Die magischen 940 000

Erreichen die Gegner der Studiengebühren in Bayern die geforderte Zahl an Unterschriften?

  • Christoph Trost und Carsten Hoefer, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Donnerstag beginnt in Bayern die zweiwöchige Eintragungsfrist für das Volksbegehren gegen die Studiengebühren. Drei Viertel der Bayern sind laut Umfrage für die Abschaffung, offen ist jedoch, ob sich genügend Wähler in die Listen. Befürworter und Gegner sind gespannt.

München. 940 000 ist die magische Zahl - für die Zukunft der Studiengebühren in Bayern, vielleicht auch für die Zukunft der schwarz-gelben Staatsregierung in München. Wenn sich binnen zwei Wochen so viele Wahlberechtigte in Unterschriftenlisten in den Rathäusern eintragen, dann kommt es im Landtagswahljahr zu einem Volksentscheid über die umstrittenen Gebühren - wenn sie dann nicht vorher im Landtag abgeschafft werden. Von diesem Donnerstag an bis zum 30. Januar läuft das von Befürwortern und Gegnern mit Spannung erwartete Volksbegehren. Prognosen, wie das Ganze ausgeht, wagt keiner.

Rückblick: Im vergangenen Jahr hatten die Freien Wähler den Kampf gegen die Studiengebühren forciert. Sie sammelten, um das Volksbegehren zu ermöglichen, mehr als 25 000 Unterschriften. Das Innenministerium zweifelte zwar an der Zulässigkeit - doch der Bayerische Verfassungsgerichtshof gab am Ende grünes Licht.

Das Beispiel Rauchverbot

Bayern ist eines der wenigen Bundesländer, in denen die Bürger Landesgesetze per Volksentscheid beeinflussen können. Die Freien Wähler - und mit ihnen inzwischen ein breites Bündnis - wollen auf diesem Wege die umstrittenen Studiengebühren kippen. Sollten sich bis zum 30. Januar mindestens zehn Prozent aller Stimmberechtigten bei den Kommunen in Listen für einen Volksentscheid eintragen - also etwa 940 000 Menschen - gilt das entsprechende Volksbegehren als erfolgreich. Für diesen Fall sieht das Gesetz zwei Möglichkeiten vor: Entweder setzt der Landtag das Anliegen des Volksbegehrens direkt um. Oder das Landesparlament lehnt es ab - dann kommt es zum Volksentscheid, bei dem alle Bürger zur Abstimmung aufgerufen sind. Entscheidend ist dann die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Nur bei Volksentscheiden über Verfassungsänderungen müssen mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja stimmen. Jüngstes Beispiel für ein erfolgreiches Volksbegehren samt Volksentscheid in Bayern ist die Abstimmung über das strikte Rauchverbot in der Gastronomie. Beim Volksentscheid im Juli 2010 sprachen sich 61 Prozent der Wähler dafür aus. (dpa/nd)

Massiver Koalitionskrach

Es folgte ein rasanter Kurswechsel der CSU, die die Gebühren bis dahin immer verteidigt hatte. Wäre der kleine Koalitionspartner FDP nicht auf die Bremse getreten, die Gebühren wären wohl von jetzt auf gleich abgeschafft worden. So aber kam es zu einem massiven Koalitionskrach, bei dem beide Partner wechselseitig mit einem Bruch des Regierungsbündnisses drohten. Am Ende einigte sich der Koalitionsausschuss, sich nicht zu einigen - der Streit wurde vertagt. Nach Ende des Volksbegehrens will man nun weitersehen.

Ein Art Wahlkampf wie seinerzeit vor dem am Ende erfolgreichen Nichtraucher-Volksbegehren ist zwar zuletzt nicht zu beobachten gewesen. Dennoch: Je näher das Volksbegehren rückt, desto vehementer werben Befürworter und Gegner der Gebühren für ihre Positionen.

Auf der einen Seite steht die FDP mit Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch an der Spitze, die energisch für die Gebühren kämpft. »Wir haben damit in den vergangenen Jahren eine extreme Verbesserung der Studienbedingungen erreicht - weil wir dafür dank der Gebühren 800 Millionen Euro ausgeben konnten«, argumentiert er. Den Vorwurf der Gegner, die Gebühren seien sozial ungerecht, weist er zurück - und antwortet schlicht mit einer Gegenfrage: »Soll es etwa sozial gerecht sein, wenn die Arzthelferin mit ihren Steuern das Studium des späteren Chefarztes mitfinanzieren soll?« Auf der anderen Seite ist das Bündnis gegen die Studiengebühren, das von den Freien Wählern angeführt wird, dem sich aber inzwischen die gesamte Opposition, Gewerkschaften und Verbände angeschlossen haben.

Michael Piazolo, Generalsekretär der Freien Wähler und Initiator des Volksbegehrens, nennt zahlreiche Argumente gegen die Gebühren - etwa, dass die Gebühren ungerecht seien, weil Studenten aus nicht so begüterten Familien es schwerer hätten, zu studieren. Und er verweist darauf, dass nur noch zwei Bundesländer - Bayern und Niedersachsen - Gebühren erheben. Sollte bei der Niedersachsen-Wahl Rot-Grün gewinnen, wäre das auch dort das Aus für die Beiträge.

Glaubt man einer neuen Umfrage des Bayerischen Rundfunks, dann ist die Mehrheitsmeinung der Bayern klar: Rund drei Viertel sind demnach für die Abschaffung. Allerdings, das weiß auch Piazolo: Davon müssen nun erst einmal genügend zum Unterschreiben in die Rathäuser gehen.

Sollte diese Hürde genommen werden, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Landtag schafft die Gebühren ab - oder es kommt zum Volksentscheid. Derzeit spricht alles für Variante zwei. Denn CSU und FDP haben sich zwar für Ende Januar/Anfang Februar zu Gesprächen verabredet - doch eine Einigung, vor allem ein Einknicken der FDP, ist nicht in Sicht. »Ich sehe nicht, dass das so sein wird«, sagt Heubisch. Dann werde man eben den Volksentscheid abwarten.

Eine Terminfrage

Und auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat sich inzwischen offenbar mit dem Gedanken arrangiert, dass es vor der Landtagswahl im September oder dem möglichen Volksentscheid nichts wird mit einer schnellen Abschaffung. Wobei er sich sicher ist: Abgeschafft werden die Gebühren so oder so - entweder von der Regierung oder vom Volk.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.