Mythischer Abwasserkanal

Das größte Massenspektakel der Welt: In Indien beten und baden ab heute 80 bis 100 Millionen Gläubige

  • Thomas Berger, Bangkok
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz Überfüllung und sehr schlechter Wasserqualität kommen seit gestern zig Millionen Menschen zu einem Hindufest in Nordindien zusammen, wo sie sich in Flusswasser von Sünden reinwaschen wollen.

Im nordindischen Allahabad hat am Montag die diesjährige »Kumbh Mela« begonnen. Über einen Zeitraum von insgesamt zwölf Jahren wandert dieses religiöse Festival zwischen den heiligen Stätten Allahabad, Nasik, Ujjain und Haridwar, wo es zuletzt 2010 stattfand. Allahabad ist wohl der bedeutsamste Ort dieses Quartetts, schließlich vereinigen sich hier der Ganges, der Yamuna und der nur in der Mythologie existierende Saraswati-Fluss. Am frühen Montagmorgen, zu einer von den Astrologen genau berechneten Zeit, führten zahlreiche »Sadhus« (heilige Männer) die ersten Hunderttausende Gäste zum Bad in den Fluten. 55 Tage dauert das Festival, das mit jeder Menge rekordverdächtiger Zahlen aufwarten kann. Das letzte Mal in Alla᠆habad, 2001, kamen beispielsweise allein am Hauptbadetag 40 Millionen Menschen, so viele wie nie zuvor. 110 Millionen Teilnehmer waren seinerzeit insgesamt geschätzt worden.

Der Ursprung des spektakulären Ereignisses, dessen farbenfrohe Bilder rund um den Erdball Zeitungsseiten und Fernsehnachrichten bereichern, geht auf eine hinduistische Legende zurück, nach der sich Götter und Dämonen um ein Gefäß mit himmlischem Nektar stritten und dabei ein paar Tropfen der segensreichen Flüssigkeit an jenen vier Orten niederfielen. Zwar herrscht am heiligen Ganges das ganze Jahr über rituelle Badezeit, doch in den Festtagen der »Kumbh Mela« verspricht das Untertauchen in den Fluten noch mehr als sonst innere Reinigung von Sünden und einen schnelleren Weg zur Erlösung.

Für Organisatoren und staatliche Behörden stellt das Fest jedes Mal eine logistische Herausforderung sondergleichen dar. Auch diesmal sind rund um den Sangam (den Punkt des Zusammenflusses, wo sich die Menschenmassen konzentrieren) fast zehn Kilometer Straßen und Wege neu gebaut, befestigt oder erneuert worden. 18 Brücken wurden errichtet. Zur medizinischen Nothilfe ist ein Team von 243 Ärzten im Dauereinsatz. Nach unterschiedlichen Quellenangaben wurden 35 000 bis 40 000 Toiletten vorbereitet. Zudem steht ein Vorrat von 80 Millionen Liter Trinkwasser bereit. Rund 30 000 Polizisten sollen, von ehrenamtlichen Helfern unterstützt, für Ordnung sorgen und ein Chaos verhindern. Normale Quartiere sind in Allahabad längst nicht mehr zu bekommen, bereits seit Mitte Dezember hat sich die Stadt mit Pilgern gefüllt.

Dass die Wasserqualität hier am mittleren Abschnitt des Ganges bereits arg gelitten hat, ist im Bewusstsein der Menschen kaum verankert - oder wird mit Verweis auf die Religion schlicht verdrängt. Die Behörden warnten bereits, Gangeswasser zu schlucken. »Um es einfach zu sagen: Kein Fluss hier ist ein Fluss, das sind alles Abwasserkanäle«, sagte der Forscher Anil Prakash Joshi der Nachrichtenagentur dpa. Zum Festival sind stromaufwärts Staustellen angewiesen worden, zusätzliches Frischwasser einzuleiten, um die Belastungen zu minimieren. Bekannte industrielle Verschmutzer haben überdies die Anweisung, in dem Zeitraum keine Abwässer einzuleiten. Dennoch gibt es zahlreiche weitere Quellen für schädliche Substanzen in Nordindiens Lebensader.

Ein Erlebnis ist die »Kumbh Mela« nicht zuletzt für etwa eine Million ausländische Touristen, die zu dem Spektakel erwartet werden. Immens ist auch die wirtschaftliche Bedeutung dieses größten religiösen Festes weltweit. Zwar verschlingen die organisatorischen Maßnahmen, zusätzliche Infrastruktur und Sicherung umgerechnet etwa 160 Millionen Euro. Dem stehen aber Geschäfte im Umfang von 1,64 Milliarden Euro gegenüber, hat die Industrie- und Handelskammer geschätzt.

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