Zwischen Solidarität, Duldung und Isolation
Politik und Kirche versuchen die Unterstützung von Flüchtlingen durch linke Gruppen zu diskreditieren
Die Kirchentore sind verschlossen. Drinnen im Gotteshaus am Wiener Ring harren 63 Flüchtlinge bei Temperaturen um den Gefrierpunkt aus. 45 von ihnen befinden sich seit fast drei Wochen im Hungerstreik. Die österreichische Caritas sorgt für die medizinische Betreuung der großteils aus Pakistan stammenden jungen Männer. Der Beschluss der Kirchenleitung zur Schließung des neugotischen Gebäudes hat die Isolation der Protestierenden verstärkt. Die schweren Holztüren öffnen sich nur für Personal der Caritas, Journalisten und bekannte Persönlichkeiten. Der direkte Kontakt zu außerkirchlichen Solidaritätsgruppen wurde damit unterbrochen.
Die Forderungen der Asylsuchenden betreffen fundamentale Menschenrechte: die Möglichkeit, während des oft Jahre dauernden Verfahrens einer bezahlten Arbeit nachgehen zu dürfen, die Behandlung als Hilfesuchende und nicht als Verbrecher, denen man Fingerabdrücke abnimmt und die freie Wahl des Wohnortes. Dem steht ein europäisches Abschottungssystem gegenüber, das von einer internationalen Asylbewerberdatei bis zu repressiven Maßnahmen bei der Versorgung reicht. Der Hungerstreik der in Wien gestrandeten Flüchtlinge trifft somit ins Herz nicht nur der österreichischen, sondern der Brüsseler Asylpolitik.
Ohne die Unterstützung von antirassistischen Aktivisten wären Ende November nicht über 200 Menschen aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen ins 30 Kilometer entfernte Wien aufgebrochen, um hier ein Camp aufzuschlagen. Nach der Räumung durch die Polizei zogen sie sich in die gegenüberliegende Votivkirche zurück. Die asylpolitische Solidarität kleiner linker Gruppen wird nun, sieben Wochen nach Beginn der Aktion, zum Politikum. Von Caritas-Präsident Michael Landau bis zum sozialdemokratischen Wiener Bürgermeister Michael Häupl verurteilen kirchliche und politische Verantwortlich den die angebliche »Instrumentalisierung« der Flüchtlinge durch linke Aktivisten.
Der Vorwurf verkennt die Sachlage. Die meisten Flüchtlinge blicken auf harte politische Kämpfe in ihrer Heimat zurück und wissen genau um die Notwendigkeit von Solidarität. Ihre Allianz mit antirassistischen Initiativen entspringt dem gemeinsamen Interesse, Widerstand gegen die staatliche Diskriminierung zu leisten. Dass dies den Vertretern von Staat und Kirche nicht schmeckt, ist verständlich. Sie eint die Vorstellung, Flüchtlinge als Bittgänger zu sehen, denen Forderungen nicht zustehen. Wo dennoch aufbegehrt wird, wittert man Einflüsse von außen. Damit kann der Protest leichter diskreditiert werden.
Die Speerspitze der Hetze gegen die Flüchtlinge bildet, wenig überraschend, die rechte FPÖ. Deren Wiener Landesorganisation hat Anzeige gegen Unterstützergruppen erstattet. Sie sollen, so der Vorwurf, zur »Störung der Religionsausübung« aufgerufen haben. Diese sei wegen der Besetzung der Kirche nicht mehr möglich.
Ein Wachdienst kontrolliert die Kirchensperre. Solidaritätsbekundungen mit den Hungerstreikenden sind dadurch schwierig. Am Sonntag bekamen die Hungerstreikenden mit Jean Ziegler prominenten Besuch. Für den morgigen Donnerstag ist eine Kundgebung vor der Kirche angemeldet.
Die Konsequenz, mit der die Flüchtlinge ihren Hungerstreik durchführen, hat Kirchenväter und Politik gleichermaßen überrascht. Bislang griffen verzweifelte Asylbewerber nur in Abschiebehaft zu Akten der Selbstzerstörung, wie Anwalt Georg Bürstmayr aus Erfahrung mit Flüchtlingen weiß. Diesmal ist es anders. Deshalb werden karitative und ministerielle Angebote auf warme Quartiere, die den Hungerstreikenden individuell zugeteilt würden, von diesen abgelehnt. Die Flüchtlinge bestehen auf einer verbindlichen politischen Lösung.
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