Wie eine Pantherin
Susan Sontag wäre 80
Diese Sehnsucht nach Europa. Mit vierzehn Jahren hatte sie gemeinsam mit einem Schulfreund in Los Angeles bei Thomas Mann angerufen, es ging um einen Schulaufsatz - und er lud sie tatsächlich zum Tee ein. Später übersetzte sie europäische Dichter wie Benjamin, Canetti, Bernhard und Robert Walser. Vor allem aber sah sie als Zwölfjährige Fotos aus Europa. Dachau. Bergen-Belsen. »Es zerbrach etwas in mir.«
Die Kraft der Bilder, Gewissen aufzurütteln wie abzutöten, diese ästhetische Doppelmoral der Fotografie, führte irgendwann zu grandiosen essayistischen Texten. Einmal war sie Vortragsgast im Deutschen Nationaltheater Weimar. Susan Sontag (Foto: dpa) verspätete sich. Sie kam von Buchenwald herüber; eine Erstbegegnung. Sie sprach nicht darüber, so wurde nichts beschädigt.
Die 1933 in New York geborene Schriftstellerin (»In Amerika«, »Der Liebhaber des Vulkans«) und Essayistin (»Krankheit als Metapher«, »Kunst und Antikunst«, »Im Zeichen des Saturn«) praktizierte ein Denken gegen Denkgewohnheiten, ihr Werk ist tiefe Ernsthaftigkeit inmitten postmoderner Ironien. Sie hatte es in den USA geschafft, eine Art öffentliches Gewissen zu sein - wohl um den unabdingbaren Preis einer gewissen Einsamkeit. Wenige Tage nach dem Attentat auf das New Yorker World Trade Center schrieb sie: »Lasst uns gemeinsam trauern. Aber lasst nicht zu, dass wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben.«
Wohl und Wehmut einer Wahrhaftigen: Jahrzehnte lang empfand sie doch lediglich als »gesunden Menschenverstand«, was ihr daheim als eine nestbeschmutzerische Radikalität ausgelegt wurde. In ihrer Essayistik lebt ein heftig auf den Punkt hintreibender Wille, der sich gegen jenes Feuer der politischen Korrektheit richtet, das alles ins Licht der Umsicht, der Mäßigung, des Gehorsams und der betriebsblinden Versöhnlichkeit hüllt.
Ob Kosovo-Krieg, Aids, Pornografie: Weil sie ihre Meinungen möglichst konsequent aus persönlichen Erfahrungen zu beziehen versuchte, stand der analytische Intellekt in enger Beziehung zur Emotion, zum subjektiven Empfinden, zu einem inneren Fieber. Sie ist ein Friedensmensch gewesen, aber keine Pazifistin - wie sie überhaupt nie eine diszipliniert denkende Linke war. Sie foppte morgen den, der gestern noch meinte, sie stünde auf seiner Seite.
Eine anmutig lauernde Frau. Sie besaß etwas Sportliches, Legeres, war scheinbar immer, in überlegener Vorsicht und gediegener Gespanntheit, auf einen Kampf vorbereitet. Elegant pantherhaft. Sie war eine schöne Frau und die Klischee-Verderberin zugleich. Auftritte nur im Schwarz der Existenzialisten, und eher auf Turnschuhtripps, als auf höhere Kulturen der Erscheinungsform ausgerichtet.
Die Sontag liebte es, »eine Fremde zu sein«. Ja, die europäische Sehnsucht. Das erste europäische Buch, das sie in ihrer Kindheit las, waren Hugos »Die Elenden«. Sie wurde »nicht ernährt von amerikanischer Kultur«, sondern von der traditionellen Ernsthaftigkeit des anderen, fernen Kontinents. Und gern zitierte sie Gertrud Stein, die im Exil in Paris gefragt wurde, ob es sie nicht sehr belaste, ihre Wurzeln verloren zu haben. Die für Sontag »klasssisch gute« Antwort der Dichterin: Was soll ich mit Wurzeln, die ich nicht mitnehmen kann?
Heute wäre Susan Sontag, die 2004 starb, 80 geworden.
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