Dorfkirchen statt Garnisonkirche

Brandenburger Bürgerinitiative erinnert an Hitlers Machtergreifung und den Tag von Potsdam

  • Lesedauer: 3 Min.
In Brandenburgs Landeshauptstadt schwelt der Streit um einen möglichen Wiederaufbau der Garnisonkirche weiter. Eine Bürgerinitiative appelliert an Stadt und evangelische Kirche, auf das Projekt zu verzichten.

Potsdam (nd/epd). Kurz vor dem 80. Jahrestag der Machtergreifung der Faschisten am 30. Januar 1933 fordern Gegner des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche erneut ein Aus für das Millionenprojekt. Die Stadt müsse den Jahrestag und die laufende Debatte über die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde des früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Anlass nehmen, um aus der Garnisonkirchen-Stiftung auszutreten, erklärte die Bürgerinitiative »Potsdam ohne Garnisonkirche« am Mittwoch. Hindenburg hatte Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt.

Die evangelische Kirche, so argumentierte die Bürgerinitiative, »täte ebenfalls gut daran, sich an ihr soziales Gewissen zu erinnern und ihre Gelder für bedürftige Menschen oder vom Verfall bedrohte Dorfkirchen zu verwenden«. Prestigeprojekte wie die »Rekonstruktion eines Kirchengebäudes, das von keiner Gemeinde akut benötigt wird«, nützten nur dem Ansehen ihrer Initiatoren. Die Einwohner Potsdams benötigten keine »weiteren musealen Prunkbauten« in der Innenstadt, sondern »lebendige Orte des kulturellen Austausches«.

Die Garnisonkirche war in einer Bombennacht gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ausgebrannt - am 14. April 1945. Im Jahr 1968 wurde die Ruine abgerissen. Dabei verschwand auch der Turm, den die evangelische Heilig-Kreuz-Gemeinde noch benutzt hatte. Der Wiederaufbau der Kirche ist seit den 1990er Jahren geplant. 2005 wurde der Grundstein gelegt, im November 2012 der Bauantrag bei der Stadtverwaltung eingereicht. Das Projekt, das wahrscheinlich mindestens 100 Millionen Euro teuer ist, soll aus Spenden finanziert werden. Zunächst soll bis zum 500. Reformationsjubiläum 2017 für etwa 40 Millionen Euro der Turm der einstigen Barockkirche nachgebaut werden. Derzeit plant die evangelische Kirche nirgendwo anders in Deutschland den Bau einer so großen Kirche.

Das Vorhaben ist aus verschiedenen Gründen umstritten, unter anderem weil die Garnisonkirche am berüchtigten »Tag von Potsdam«, dem 21. März 1933, von den Nazis zur Inszenierung der Reichstagseröffnung genutzt wurde, während zahlreiche sozialdemokratische und kommunistische Abgeordnete bereits auf der Flucht oder verhaftet waren. Hindenburg drückte vor der Kirche symbolträchtig die Hand Hitlers. Der Diktator verneigte sich dabei leicht vor dem Offizier, der im Ersten Weltkrieg ab 1916 Chef der Obersten Heeresleitung der kaiserlichen Truppen war. Dieser Moment steht für die unheilige Allianz der deutschen Faschisten mit dem preußischen Militarismus. Um Paul von Hindenburg rankte sich der Mythos des Siegers von Tannenberg, wo unter seinem Befehl 1914 die zweite russische Armee vernichtend geschlagen wurde. 1919 propagierte Hindenburg die verhängnisvolle Dolchstoßlegende vom angeblich im Felde unbesiegten Heer, das nur aufgeben musste, weil ihm die Novemberrevolution in den Rücken gefallen sei.

Befürworter des Wiederaufbaus argumentieren mit der Bedeutung des Bauwerks für das Stadtbild und sehen die Kirche auch als Ort des Widerstands gegen Hitler, weil mehrere an dem Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligte Offiziere der Garnisonkirchengemeinde angehörten.

Zu den Gegnern einer wieder aufgebauten Garnisonkirche zählte in der Vergangenheit ausgerechnet jener Theologe, der in der DDR als Pfarrer die Heilig-Kreuz-Gemeinde betreute und sich damals in dieser Funktion vergeblich gegen den Abriss des Turms wehrte. Erfolglos beschwerte er sich seinerzeit bei vielen Stellen bis hinauf zum DDR-Staatsrat. In der neuen Situation eines wiedervereinigten Deutschlands sah Pfarrer Uwe Dittmer jedoch eine Gefahr. »Die Christen brauchen die Garnisonkirche nicht«, stellte er fest. »Die Demokraten brauchen sie auch nicht. Die haben die Frankfurter Paulskirche, die an die Revolution von 1948/49 erinnert. Wer also braucht die Garnisonkirche? Nur die Rechten!«

Die ursprüngliche Garnisonkirche entstand 1731 bis 1735 auf Geheiß von König Friedrich Wilhelm I. Der Turm wurde damals zuletzt fertig. 2005 gab es die Hoffnung, der Turm könnte 2012 schon wieder stehen. Sie erfüllte sich nicht.

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