Blick zum Himmel

Larissa-Schepitko-Retrospektive im Arsenal

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Jahre 1979 starb Larissa Schepitko - erst 41-jährig - bei einem Autounfall in der Nähe von Moskau während der Vorbereitungen zu ihrem geplanten Film »Abschied von Matjora«. Ihr Tod riss eine schmerzliche Lücke in die damalige sowjetische Kinolandschaft, galt Schepitko doch zu Recht als eine ihrer talentiertesten und individuellsten Protagonisten. So blieb das Werk der ukrainischen Regisseurin überschaubar, doch ihre Bilder betören bis heute - etwa das Schwarz-Weiß ihres Kriegsfilms »Der Aufstieg«.

Das beeindruckende Drama gewann 1977 den Goldenen Bären auf der Berlinale und gehört zu den acht Filmen, die das Kino Arsenal nun in einer Retrospektive zu Ehren Schepitkos zeigt. 1938 in der Ost-Ukraine geboren, debütierte sie 1963 als blutjunge Regisseurin in der so genannten Tauwetterperiode unter Chruschtschow. So erzählt ihr erster Spielfilm »Znoj«, ein »Eastern« nach einer Vorlage von Tschingis Aitmatow, von einem idealistischen jungen Mann, der in der kirgisischen Steppe gegen den Widerstand abgeklärter Brigademitglieder Neuland gewinnen will.

Denn Idealisten sind die meisten Protagonisten bei Schepitko - und sie machen es sich selbst und ihrer Umwelt nicht einfach. Oft agieren sie als überzeugte Kämpfer für den Sozialismus, stellen aber keineswegs die schablonenhaften positiven Helden dar, von denen so mancher Kulturfunktionär damals träumte.

So ist Nadjeshda (Maja Bulgakowa) aus dem in den 50er Jahren angesiedelten Drama »Krylja« (Flügel, 1963) eine hochdekorierte ehemalige Kampfpilotin. Nun muss sich die streng wirkende 42-Jährige als Schuldirektorin in der Provinz mit aufmüpfigen Jugendlichen herumschlagen. Die Einsamkeit der Heldin unterstreichen geschickt mit der Jetzt-Ebene verwobene Rückblenden: Erinnerungen an den verstorbenen Liebhaber oder das Schwelgen in Gedanken an ihre einstigen Flugkünste. Nadjeshda scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Im örtlichen Museum wird sie zwar als Kriegsheldin ausgewiesen, doch die jüngere Generation schert das nicht. So bleibt Nadjeshda nur der nostalgische - aber im Hinblick auf das hoffnungsvolle Ende auch prophetische - Blick gen Himmel.

Die Augen in die Höhe gerichtet, feiert auch der zum Tode verurteilte Held Sotnikow (Boris Plotnikow) in Schepitkos bekanntestem Film »Der Aufstieg« (1977) einen moralischen Sieg - und eine religiös überhöhte Auferstehung. Im gnadenlosen weißrussischen Winter des Jahres 1942 geraten zwei Partisanen auf der Suche nach Nahrung in die Fänge der Deutschen. Der eine stirbt für seine Ideale, der andere wird zum Verräter. Dass der Film das heikle Thema der Kollaboration von Sowjetbürgern ansprach, galt damals immer noch als Tabubruch, wurde aber, anders als bei Alexej Germans Film »Straßenkontrolle« (1971) und nach der Intervention eines hohen weißrussischen Parteifunktionärs, nicht mit Verbot bestraft. So gibt der großartige Anatoli Solonizyn (Hauptdarsteller in Tarkowskis »Andrej Rubljow«) bei Schepitko sehr eindringlich einen Ex-Professor, der nun im Namen der Nazis brutal sowjetische Gefangene verhört. Auch ein besonders sadistischer ukrainischer Handlanger der Deutschen spielt eine Rolle.

Doch Schepitko zeigt sich in ihrem poetischen Kriegsfilm noch radikaler: Zwar erweist sich der standhafte Ex-Lehrer, Soldat und Partisan Sotnikow als aufrechter Bolschewik, doch seine letzten Tage werden (kurzzeitig durchaus pathetisch) als Passionsgeschichte dargestellt - samt symbolischer Speerwunde in Form einer Foltermarkierung und eines als Kreuzgang stilisierten Wegs zum Galgen. Andererseits filmt Schepitko das ländliche sowjetische Weißrussland des Krieges sehr realistisch und macht die unbarmherzige frostige Natur sowie Erschöpfung, Hunger und Verzweiflung der Menschen nachvollziehbar. Leider sollte »Der Aufstieg« Schepitkos filmischer Schwanengesang werden. Ihr letztes Projekt, »Abschied von Matjora«, vollendete 1983 ihr Ehemann Elem Klimow.

Vom 19. 1. bis 31. 1. im Arsenal am Potsdamer Platz, www.arsenal-berlin.de

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -