Gegenwind aus Berlin
Rot-Grün erzielt trotz Steinbrücks Eskapaden einen knappen Wahlsieg
Sigmar Gabriel war sichtlich bemüht, die selbstkritischen Äußerungen des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück vom Vorabend zu relativieren. »Es hat eine aufgebauschte Debatte gegeben«, meinte der SPD-Chef gestern vor Parteimitgliedern und Journalisten im Berliner Willy-Brandt-Haus. Von dieser hätten sich die Sozialdemokraten im niedersächsischen Wahlkampf aber nicht verrückt machen lassen. Damit meinte Gabriel die Diskussionen über Steinbrücks Äußerungen zum Kanzlergehalt und über seine Nebentätigkeiten. Viele SPD-Politiker machen hierfür merkwürdigerweise die Medien und nicht Steinbrück selber verantwortlich.
Am Wahlabend hatte der Kanzlerkandidat in der SPD-Zentrale noch angedeutet, dass er selber mitschuldig an einer möglichen Wahlniederlage des SPD-Spitzenkandidaten Stephan Weil in Niedersachsen sei. Ihm sei »sehr bewusst, dass es aus der Berliner Richtung keinen Rückenwind gegeben hat«, räumte Steinbrück ein. »Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage«, fügte er hinzu. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass die SPD doch noch gemeinsam mit den Grünen vor CDU und FDP liegen wird.
Doch mit dem Wahlsieg in Niedersachsen dürften die Debatten über die Eignung Steinbrücks als Kanzlerkandidat keineswegs beendet sein. Denn mit ihm hat sich die SPD in den bundesweiten Umfragen verschlechtert. Eine Große Koalition unter Führung der Union, die Steinbrück allerdings offiziell ausgeschlossen hat, gilt derzeit als wahrscheinlichster Zusammenschluss nach der Bundestagswahl im Herbst. »Die Bundestagswahl ist offen«, sagte Gabriel trotzig. Zuversicht klingt anders.
Auch das niedersächsische Wahlergebnis war für die SPD alles andere als berauschend. Sie konnte nur leicht hinzugewinnen. Ihre Wählerschaft ist in dem Bundesland jedoch noch etwas kleiner als im Jahr 2003. Damals verlor Regierungschef Sigmar Gabriel nach massiven Stimmenverlusten bei der Landtagswahl deutlich gegen Christian Wulff (CDU). Dieses Mal hat es vor allem wegen der Zugewinne bei den Grünen für eine rot-grüne Regierungsmehrheit gereicht.
Im Bund wird es eine andere Konstellation geben, weil dort auch mit dem Einzug der LINKEN in das Parlament zu rechnen ist. Mit ihr kann sich aber derzeit nur eine Minderheit von SPD und Grünen eine enge Zusammenarbeit vorstellen. In den kommenden Monaten bis zur Bundestagswahl wird sich vielmehr zeigen, inwieweit Rot-Grün und die schwarz-gelbe Bundesregierung bereit sind, aufeinander zuzugehen. Denn durch den Wahlsieg in Niedersachsen haben nun SPD und Grüne gemeinsam mit dem von Rot-Rot regierten Brandenburg eine Gestaltungsmehrheit im Bundesrat. Gabriel betonte, dass die SPD hiermit »verantwortungsbewusst« umgehen wolle. Ebenso äußerte sich der Parlamentsgeschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck. »Wir werden nicht blockieren, aber korrigieren«, teilte er im Kurznachrichtendienst Twitter mit. »Was der Ländermehrheit nicht passt, geht in den Vermittlungsausschuss«, erklärte Beck.
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