Aufbruch der »Malweiber«

Frauen der Berliner Sezession - eine Ausstellung in der Liebermann-Villa am Wannsee

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mühsam mussten sich Frauen im 19. Jahrhundert die Zulassung zu den renommierten öffentlichen Kunstakademien erkämpfen. Waren sie nicht an deutschen Akademien zugelassen und mussten sie privaten Unterricht nehmen, wurden sie vor der Jahrhundertwende als Dilettantinnen und »Malweiber« bezeichnet. Doch nun waren sie nicht länger bereit, den Ausschluss aus der offiziellen Kunstszene schweigend hinzunehmen. Neben Käthe Kollwitz, die sich in der Berliner Sezession als Grafikerin vorstellte, waren es Dora Hitz, Sabine Lepsius, Clara Siewert, Charlotte Behrend(-Corinth) und viele andere, die sich um 1900 als professionelle Künstlerinnen verstanden und zu den erfolgreichsten Vertreterinnen ihres Fachs gehörten. Die Berliner Sezession war damals die erste große Künstlervereinigung, die weibliche Mitglieder zuließ (neun waren es bis 1913), und nicht zuletzt hat sich ihr Präsident Max Liebermann für sie eingesetzt.

Das »Schlösschen im Hofgarten« in Wertheim (im Main-Tauber-Kreis), das über eine bedeutende Privatsammlung »Max Liebermann und Mitglieder der Berliner Sezession« verfügt, hat seit Jahren Ausstellungen zur Berliner Sezession und zu einzelnen Mitgliedern der Sezession veranstaltet und sich vergangenen Herbst Käthe Kollwitz und ihren Kolleginnen in der Berliner Sezession (1898-1913) gewidmet. Daran anschließend stellt jetzt in einer begrenzten Auswahl die Liebermann-Villa am Wannsee zusammen mit Käthe Kollwitz vier der Berliner Sezessionistinnen vor.

Fünf Künstlerinnen - fünf unterschiedliche Lebensläufe, Individualitäten, Stile und Konzepte. Käthe Kollwitz’ Radierungen und Lithographien aus den Jahren um 1900 bekunden die Erschütterung, die der Künstlerin durch ihren Umgang mit dem Großstadtleben widerfuhr. Es war ein Leiden mit den Menschen, zu denen sie sich bekannte. Sie zeigte 1899 auf der ersten Ausstellung der Berliner Sezession neben der Kreidelithographie »Gretchen«, in der sich die Gretchenfigur aus dem einheitlichen Dunkel als noch dunklerer Schatten abhebt, die »Studie einer Schwangeren« und die Radierung »Aufruhr«. In letzterer nimmt sie Bezug auf die Bauernkriege im frühen 16. Jahrhundert und bringt mit unglaublicher Wucht die aufgeheizte Atmosphäre der zum Kampf bereiten Menschenmenge hervor.

»Vergewaltigt« heißt das zweite Blatt des Bauernkriegszyklus - zwischen zertretenen Pflanzen liegt ein halbentblößter Frauenkörper, beinahe symbolisch scheint die verwüstete Vegetation auf das zerstörte Leben der Frau hinzuweisen. Diese Arbeiten gehören zu den frühen experimentellen Druckgrafiken, in denen Kollwitz verschiedene Techniken und Materialien mischte. Große dunkle Flächen mit herausgearbeitetem Weiß geben ihrer Darstellung eine starke Geschlossenheit.

Dora Hitz, die von 1880 bis 1890 bereits im Kreis der Pariser Maler-Avantgarde gelebt hatte, präsentierte ihre Arbeiten seit 1899 kontinuierlich in der Sezession. Das waren Gemälde - wie »Mädchen mit Blumenkranz« (um 1900) - in duftigen Tönen und poetischer Stimmung. Das großformatige Gemälde »Weinernte« (vor 1910) ist dagegen in einer gestischen Malweise gehalten, die Pinselstriche sind grob und breit, die Farben hart und kräftig nebeneinander gesetzt.

Sabine Lepsius - auch sie hatte ihren künstlerischen Durchbruch in Paris erlebt - war Gründungsmitglied der Berliner Secession und damals eine erfolgreiche Porträtmalerin. Schon ihr frühes Selbstbildnis von 1885, das der Berliner Nationalgalerie gehört, ist eine sprühende, kraftvolle und wie mühelos wirkende Aufzeichnung, der Blick dieser Frau wird hier zum Ereignis. Clara Siewerts Arbeiten, die von Dämonen, Ängsten und vom Ausgestoßensein erzählen, künden von der Zerrissenheit der Zeitenwende und spiegeln den so bedrohlich empfundenen Umbruch an der Schwelle der Moderne wider, der sich mit ihrer Person verknüpfte. Ihr bruchstückhaft gebliebener »Hexen«-Zyklus führte Kunst und Leben in entfesselter Fantasie und bitterer Wahrheit zusammen.

Mit dem verschollenen Gemälde »Schwere Stunde« (1908) - es kann nur eine Studie gezeigt werden - hatte Charlotte Berend eine heftige Kontroverse ausgelöst, zeigte es doch eine in Wehen liegende Gebärende, an deren Lager ein kleines Mädchen mit angstvoll aufgerissenen Augen hockt. Später wurde das Theater ihre neue Themenwelt. Ein Gemälde von 1917 stellt Max Pallenberg in der Rolle des Figaro dar: Das markante Gesicht wird durch die starken Hell-Dunkel-Kontraste noch betont und tritt aus dem Schatten sowie dem strahlend blauen Umhang hervor, während Kleidung und Hintergrund skizzenhaft und flächig gehalten sind.

Ausgenommen Käthe Kollwitz sind diese Künstlerinnen nur kurzzeitig zu Akzeptanz und Würdigung gekommen und gerieten zum Teil später wieder in Vergessenheit. Die Kriegs- und Nachkriegszeit führte Dora Hitz in eine materielle Notlage. 1924 starb sie. Sabine Lepsius suchte sich nach dem Tod ihres Maler-Ehegatten allein mit Aufträgen durchzuschlagen. Clara Siewert zog sich in ein Berliner Refugium zurück, während Charlotte Behrend seit 1933 als jüdische Künstlerin höchst gefährdet war und deshalb nach Amerika emigrierte.

Bis 4. März, Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstr. 3, tägl. außer dienstags 11-17 Uhr

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