Ende einer Geisterfahrt
Kiel tritt dem Glücksspielstaatsvertrag bei, doch die bisherige Extra-Tour könnte Folgen haben
Die Glücksspielgesetzgebung kommt auf den Prüfstand des Europäischen Gerichtshofes. Das ist die Folge einer am Donnerstag verkündeten Entscheidung des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe. Hintergrund ist eine Klage eines privaten Lottoanbieters mit Sitz in Gibraltar gegen die staatliche Lottogesellschaft Nordrhein-Westfalen. Das Verfahren wurde zunächst einmal ausgesetzt.
Weitere Rechtsstreitigkeiten dürften folgen, nachdem für kurze Zeit der seit Juli 2012 geltende deutsche Glücksspielstaatsvertrag von 15 Ländern und das spezielle Glücksspielgesetz Schleswig-Holsteins nebeneinander rechtsgültig waren. Allerdings hat die neue schleswig-holsteinische Landtagsmehrheit aus SPD, Grünen und SSW gestern das von CDU und FDP in der vergangenen Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Glücksspielgesetz wieder einkassiert und sich für den Beitritt Kiels zum Glücksspielstaatsvertrag ausgesprochen. Die entsprechende von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) unterzeichnete Ratifizierungsurkunde ist bereits in der Staatskanzlei des federführenden Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg hinterlegt worden.
Lizenzen zu Weihnachten
Auf Basis des schwarz-gelben Sondergesetzes hatte das inzwischen SPD-geführte Innenministerium Schleswig-Holsteins kurz vor Weihnachten mehrere Online-Lizenzen erteilen müssen, die mit einer sechsjährigen Laufzeit ausgestattet sind. Damit ist der Norden zum Online-Las-Vegas in Deutschland geworden, auch wenn die Casino- und Pokerspieler für die Teilnahme einen Wohnsitz in Schleswig-Holstein nachweisen müssen. Im Glücksspielstaatsvertrag ist das Online-Glücksspiel tabu. In der gestrigen, hitzig geführten Landtagsdebatte machten sich SPD, Grüne und Südschleswigscher Wählerverband (SSW) nun für den Staatsvertrag stark, auch wenn die Grünen Nachbesserungen für nötig halten.
Demgegenüber wollen Union und FDP der Glücksritter-Branche weitere Möglichkeiten eröffnen. Sie argumentieren, dass es ansonsten zur Fortsetzung eines ohnehin schon vorhandenen unkontrollierbaren Glücksspiel-Onlinewesens komme. Die Piraten wehren sich generell gegen restriktive Eingriffe im Gefolge einer Verteufelung von Gefahren durch das Internet. Die gesamte Debatte um Suchtprävention ist aus Sicht der Piraten, die auf die Spielhallenproblematik verweisen, ohnehin unredlich und vorgeschoben.
CDU und FDP sowie wie private Glücksspielbetreiber argumentieren mit neu entstehenden Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein und Abgaben in die Landesfinanzkasse in einer Größenordnung von jährlich rund 18 Millionen Euro - eine Zahl, für die es allerdings keinen glaubhaften Nachweis gibt. Für die Sozialdemokraten überwiegt der Gedanke, eine bundeseinheitliche Gesetzeslage herzustellen und den von der schleswig-holsteinischen Vorgängerregierung eingeschlagenen Alleingang zu beenden. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner nannte diesen denn auch eine »Geisterfahrt«. Für ihn ist der Fall klar: CDU und FDP haben das Rechtssystem gegen das Gemeinwohl instrumentalisiert.
Während CDU und FDP immer hervorhoben, dass ihr Schleswig-Holstein-Gesetz von der EU-Kommission insbesondere mit Blick auf die Wettbewerbsgleichbehandlung in puncto Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit als rechtskonform eingestuft wurde, steht eine diesbezügliche endgültige Beurteilung des Glücksspielstaatsvertrages allerdings noch aus.
Eine Experimentierklausel
Die dort festgeschriebene Begrenzung der Zahl von Sportwettenlizenzen auf 20 ist nach Aussage der Kieler Innenministers Andreas Breitner (SPD) eine Experimentierklausel. Man wolle sehen, ob damit der vorhandene Schwarz- und Graumarkt zurückgedrängt werden könne.
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