Die »Dirndl«-Affäre

FDP-Spitzenmann Rainer Brüderle, der »Stern« und ein verspäteter Eklat

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit gestern gibt es auf dem Internet-Kurznachrichtendienst Twitter einen neuen sogenannten Hashtag. Unter dem Schlagwort »aufschrei« twittern Frauen Beispiele von ihnen widerfahrenen sexuellen Belästigungen. Die Zahl der Tweets geht mittlerweile in die Tausende. Wut und Empörung spricht aus den Zeilen. Die in 140 Zeichen gefassten Anklagen dürften nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben.

Wie man Rainer Brüderle kennt, wird er sich irgendwann auf die Fahnen schreiben, dass durch ihn die Alltäglichkeit der machohaften Anmache von Frauen durch Männer zum öffentlichen Thema wurde. Die Chuzpe dazu hat er jedenfalls. Der FDP-Politiker scheute schon früher nicht davor zurück, sich in der ZDF-Satire-Sendung »heute-show« wegen seiner verwaschenen Sprache öffentlich als trinkfesten Politclown durch den Kakao ziehen zu lassen und dazu auch noch in der Sendung höchstselbst Beifall zu spenden.

Schon jetzt tritt das, was die »Stern«-Journalistin Laura Himmelreich in der jüngsten Ausgabe des Magazins anprangerte, in den Hintergrund. Brüderle wird über die Parteigrenzen in Schutz genommen. Ganz unschuldig daran sind Himmelreich und ihr Arbeitgeber aber nicht. Die Journalistin hatte in einem Artikel über das Zugpferd der FDP für den Bundestagswahlkampf, Rainer Brüderle (»Der spitze Kandidat«), eine Geschichte erzählt, die sich spätabends an einer Hotelbar zugetragen haben soll. Nach ihren Worten soll Brüderle bei dem Gespräch mit ihr ein allzu deutliches Interesse an den körperlichen Attributen der Autorin gezeigt haben. Mit Blick auf ihren Busen hat er laut Himmelreich gesagt: »Sie können ein Dirndl auch ausfüllen«. Bei der Verabschiedung habe sie sich von Brüderle körperlich bedrängt gefühlt, schreibt Himmelreich. Das ist so schlimm wie – leider – alltäglich, denn im Unterschied zu Himmelreich empören sich weniger öffentlich exponierte Frauen nicht in den Medien darüber.

Doch die heuchlerische Anklage des »Tittenmagazins« – man kann den »Stern« ob manch seiner Titelbilder mit Fug und Recht so bezeichnen – hat einen faden Beigeschmack. Der verbale Übergriff Brüderles hat sich bereits vor einem Jahr ereignet. Wiebke Bruns, in den 1970er eine der ersten Politik-Journalistinnen in der BRD, bezeichnet die Veröffentlichung des »Stern« deshalb als »journalistisch unseriös«. Das Magazin, bei dem Bruns jahrelang arbeitete, habe »eindeutig aus Kalkül gehandelt, um Schlagzeilen zu machen«, kritisierte sie in einem Interview mit dem Berliner »Tagesspiegel« (Freitagausgabe). Berichtenswert sei das angebliche Verhalten Brüderles schon, aber dann hätte man bereits vor einem Jahr darüber berichten müssen. Anlässe gebe es genug, denn »schließlich werden Frauen in allen Berufsgruppen durch anzügliche Blicke belästigt.«

Den Sturm, der seit zwei Tagen durch die Medienlandschaft, vornehmlich durchs Internet, tobt, konnten solche Worte bislang nicht besänftigen. Im Gegenteil. Der Eindruck drängt sich auf, dass es vor allem die jüngeren Frauen sind, für die sich durch die von der 29-jährigen Laura Himmelreich niedergeschriebenen Geschichte ein Ventil geöffnet hat; eine Art Katharsis der postfeministischen Generation. Befeuert wird die Debatte durch die mehr oder weniger chauvinistischen Rechtfertigungen der älteren Männer aus dem Politikbusiness. Angeführt wird diese Altherrenriege von Wolfgang Kubicki. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein war einer der ersten, die Brüderle beisprangen. Es sei schade, »auf welches Niveau der ›Stern‹ mittlerweile gesunken ist«, klagte Kubicki gegenüber »spiegel-online«.

Doch auch der Twitter-Furor hat einen faden Beigeschmack. Er erzeugt ein Bild von behaupteter Zivilcourage, die in Wahrheit keine ist. Beispielhaft dafür ist die Äußerung der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin. Die sprang Himmelreich gegen Brüderle bei und lobte den »Stern«. »Ich finde es gut, dass Frau Himmelreich den Mut hat, das Thema Anzüglichkeit so offen zu benennen.« Nein, mit Mut hat das nichts zu tun. Mutig war es von Journalistinnen wie Alice Schwarzer, in den 1970ern den schlüpfrigen Herrenwitz öffentlich anzuprangern, Laura Himmelreichs verspätete Empörungsäußerung wird ihr keine Nachteile, sondern eher (berufliche) Vorteile verschaffen. Der Zeitgeist ist mit ihr.

Jener Zeitgeist weiß spätestens seit dem dem Hit der »Ärzte« vor gut 15 Jahren: »Männer sind Schweine«. Mit dieser Selbstanklage aber – und darin liegt wiederum ihre Scheinheiligkeit – wird sich auch Reiner Brüderle letztlich von Schuld freisprechen können. Sexismus? Ja doch, war aber nicht so gemeint!

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