Juristen stellen Weichen für die S-Bahn
Nach dem Kammergericht wird sich demnächst auch das Verfassungsgericht mit dem Unternehmen beschäftigen
S-Bahnfahrgäste mussten auch gestern wieder bibbern. Besonders auf der Ringbahn gab es lange Wartezeiten, da die Züge wieder nur alle zehn statt alle fünf Minuten kamen. Flugschnee und vereiste Türen sorgen für Fahrzeugmangel. Besonders die alten Baureihen 480 und 485 sind anfällig für Flugschnee und vereiste Türen. »Da lässt sich bei diesen Modellen technisch nichts mehr machen«, so ein S-Bahn-Sprecher. »Sie kommen aber sofort in die Werkstatt und werden repariert«, widersprach er Vorwürfen des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), wonach die Werkstattkapazitäten immer noch nicht ausreichten.
490 Doppelwagen hatte das Unternehmen gestern im Einsatz, am Donnerstag waren es sogar nur 471, nachdem vor einer Woche schon einmal 500 fahren konnten. VBB-Chef Hans-Werner Franz beklagte einen »deutlichen Rückschritt des Verkehrsangebots«. 562 Doppelwagen müsste die S-Bahn laut Verkehrsvertrag auf die Gleise bringen. Wegen des Leistungseinbruchs lässt der Senat die S-Bahn wieder durch externe Experten kontrollieren.
Dieser Fahrzeugmangel könnte noch jahrelang andauern, weil die im vergangenen Jahr gestartete Ausschreibung für die Ringbahn zu scheitern droht. Wie gestern berichtet, hat das Kammergericht dem Senat nahegelegt, das Vergabeverfahren zu vereinfachen. Andernfalls wird es eine Klage der S-Bahn dagegen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg weiterleiten, wo solche Verfahren Jahre dauern können. Das Problem: Der Senat will den Betrieb der Ringbahn ab 2017 für 15 Jahre neu vergeben. Allerdings soll der Betreiber dann für weitere 15 Jahre seine Fahrzeuge für das möglicherweise erneut gewechselte S-Bahnunternehmen warten. Erst nach weiteren drei Jahren sollen sie abgegeben werden können. Diese lange Laufzeit von insgesamt 33 Jahren könnte gegen europäisches Recht verstoßen.
Kommt die Klage vor den EuGH, wäre der Terminplan des Senats nicht mehr zu halten. Danach sollte 2014 der neue Betreiber feststehen, der dann die knapp 200 Wagen für die Ringbahn entwickeln und bauen lassen muss. 2018 sollen die Ersten ausgeliefert werden.
Nach Ansicht des S-Bahn-Tisches, zu dem die Eisenbahnergewerkschaft EVG und verschiedene linke Organisationen gehören, ist aber schon jetzt klar, dass dieser Fahrplan Makulatur ist. »2018 wird es keinen Betreiber geben, der auch S-Bahn fahren kann«, so Sprecher Rouzbeh Taheri. Wenn der Senat jetzt das Verfahren ändere, müsse ein Teil der Ausschreibung wahrscheinlich wiederholt werden, glaubt Taheri. Das dürfte eine weitere Verspätung von knapp einem Jahr bedeuten.
»Die Ausschreibung ist handwerklich schlecht gemacht und politisch falsch«, so Taheris Fazit. Der S-Bahn-Tisch will die »Privatisierung und Ausplünderung« der der S-Bahn verhindern und sie als öffentliches Unternehmen erhalten. Dazu startete er ein Volksbegehren, dessen erste Stufe Ende 2011 erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Über 30 000 Berliner unterschrieben gegen die Privatisierung, 10 000 mehr als erforderlich. Der Senat erfüllte eine Forderung, indem er die S-Bahn-Verträge veröffentlichte, erklärte das Begehren ansonsten aber vor einem Jahr für rechtlich unzulässig und legte es dem Verfassungsgericht zur Prüfung vor. Eine Entscheidung des Gerichts wird für Mitte nächsten Monats erwartet. Hält das Gericht das Volksbegehren für zulässig, hätte der Senat ein weiteres Problem.
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