Betrogen und ausgenutzt
Drei Südeuropäer flüchten vor der Krise, um in der harten Berliner Prekarität zu landen
Der Laden für Pastagerichte in einem Shopping-Center in Steglitz ist jetzt geschlossen. Die ehemaligen Mitarbeiter, ein Spanier und zwei Italiener, erkannten schon einige Zeit zuvor, dass etwas im Argen lag. Der Geschäftsführer ließ sich kaum noch blicken, Lebensmittel- und Getränke wurden nicht mehr geordert. Ihre schlimmsten Vermutungen wurden Realität als schließlich Anfang Januar der Chef ihnen eröffnete, Insolvenz anmelden zu müssen. Ihre ausstehenden Löhne könne er deswegen nicht auszahlen. Dabei hatten die drei Südeuropäer den ganzen Dezember auf einen Arbeitsvertrag gehofft und mit ihrem Einsatz das Geschäft am Laufen gehalten.
Pedro* ist 28, Spanier und lebt seit September 2012 in Berlin. In Jaén hatte er Philosophie studiert und sich zuletzt auf das staatliche Examen für angehende Lehrer vorbereitet. Als er kurz vor der Prüfung stand, kündigte die konservative spanische Regierung an, für die Jahre 2012 und 2013 keine neuen Stellen mehr im öffentlichen Sektor zu besetzen, davon ausgenommen nur Polizeistellen. Damit war sein Lebensplan zerstört. Pedro kam nach Berlin, um sein Deutsch zu verbessern und nebenbei ein wenig Geld zu verdienen. Auf den nicht gezahlten Lohn ist er besonders angewiesen, da er kaum die Miete für sein WG-Zimmer aufbringen kann. Er hat festgestellt, dass Berlin nicht die Stadt ist, in der man eine würdige Arbeit finden kann. Ihn wird es demnächst in eine andere deutsche Großstadt ziehen, wo er sein Glück in der Ferne zu finden hofft. »Jetzt fällt es mir schwer, weil ich mir hier schon viele Freunde gemacht habe.«
Marco* (34) stammt ursprünglich aus Rom, ist Architekt und lebt seit drei Monaten in Berlin. »Ich wollte hier in meinem Beruf tätig sein, aber ich spreche noch kein Deutsch.« Marco hatte zuvor vier Jahre in Italien für ein Bauunternehmer gearbeitet. Für sein letztes Projekt bekam er keinen Lohn.
Danach zog es ihn nach Berlin. In den italienischen Medien hatte er oft vom deutsche Wirtschaftswunder gehört, und dachte, dass es hier für ihn eine Zukunft geben könnte. Marco hat in dem Laden auch ohne Vertrag gearbeitet und kennt nur einen Mitarbeiter vor Ort, der zumindest einen 400-Euro-Job hatte. In diesen Monaten lernte er viele andere Italiener kennen, die nach Berlin gekommen waren, um einen Job zu finden. Die meisten leben sehr prekär, sagt er. »Berlin erlebt eine totale ökonomische Krise.« Nach seinen ersten Erfahrung hier will Marco wieder nach Rom zurückkehren. »Berlin ist kein Platz, um Arbeit zu finden. Die Situation ähnelt der in Rom«, findet er. Außerdem will Marco sich in seiner Heimatstadt politisch engagieren: »Es ist wichtig, dass wir dafür kämpfen, das sich die Verhältnisse in Italien ändern«, so Marco.
Der Dritte, Giorgio* (21) lebt schon seit einem Jahr in Berlin und ist gelernter Koch. Für ihn war die Enttäuschung besonderes groß, da er eine Arbeit in einem anderen Restaurant ablehnte, um in Steglitz Vorarbeiter zu werden. So versprach es ihm der Inhaber. Nach zwei Monaten im Laden bekam er immer noch keinen Vertrag. Trotzdem ist Giorgio optimistisch. »Wir müssen nur etwas tun, um unsere persönliche Situation zu ändern. Es wird sich schon etwas ergeben.« Er würde gerne in Berlin bleiben, aber bisher hat er bei der Jobsuche »nur Pech gehabt«.
Der Geschäftsführer blieb bisher uneinsichtig. Es bleibt abzuwarten, ob Pedro, Marco und Giorgio zumindest einen Teil ihres ausstehenden Lohns erhalten.
(*) Namen geändert.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.