- Politik
- Kairo
Keine Ruhe auf Ägyptens Plätzen
Verteidigungsminister fürchtet um staatlichen Zusammenhalt / Mursi heute bei Merkel
Kairo (etzel-nd/AFP). Nach den tödlichen Ausschreitungen in Ägypten sieht Verteidigungsminister General Abdel Fattah al-Sissi den Zusammenhalt des Staates gefährdet. Der andauernde politische Konflikt und Differenzen über die Führung des Landes könnten zum Kollaps führen und künftige Generationen bedrohen. Dies war allerdings keine öffentliche Erklärung, die momentan offenbar selbst der Verteidigungsminister scheut, sondern eine Eintragung im Onlinenetzwerk Facebook. Seit Beginn der neuen gewalttätigen Proteste am zweiten Jahrestag des Volksaufstands gegen den im Februar 2011 gestürzten Staatschef Husni Mubarak am Freitag wurden bislang mindestens 52 Menschen getötet. Am Montag starben zwei Menschen in Port Said und einer in Kairo, wie ein Sanitäter am Dienstag sagte. Hunderte Menschen seien verletzt worden.
Die Proteste waren am Samstag vor allem dadurch befeuert worden, dass ein Kairoer Gericht, im Prozess wegen tödlicher Ausschreitungen nach einem Fußballspiel in Port Said am 1. Februar 2012 21 angeblich daran beteiligte Personen zum Tode verurteilt hatte. Das Urteil löste in der Hafenstadt am Suez-Kanal gewalttätige Proteste aus. Die am Sonntag von Präsident Mohammed Mursi verhängte Ausgangssperre über drei Städte, darunter Port Said, führte offensichtlich nicht zum Ende der Proteste. General Sissi rief dazu auf, das Verkehrsnetz Ägyptens zu schützen, insbesondere den Suez-Kanal. Er versicherte, das Militär habe nicht die Absicht, gegen Demonstranten zu kämpfen, »die ein Recht zum Protest haben«. »Deswegen müssen die Proteste friedlich verlaufen.«
Auf dem Kairoer Tahrir-Platz war es am Dienstag tagsüber ruhig. Zuvor hatte es in der Nacht immer wieder Zusammenstöße zwischen Polizei und jungen Demonstranten gegeben. Bestialische Übergriffe werden aber aus den zurückliegenden Tagen gemeldet. So sollen Banden politischer Provokateure gezielt Jagd auf demonstrierende junge Frauen gemacht haben. Wie das »Handelsblatt« schreibt, gab es »organisierte Vergewaltigungen«. 25 missbrauchte Frauen wurden von der Selbsthilfeorganisation »Operation Anti-Sexual Harassment« allein am Freitag gezählt.
Am heutigen Mittwoch wird Mursi zu einem Besuch in Berlin erwartet. Vorgesehen ist unter anderem ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Vorfeld verteidigte der ägyptische Botschafter in Deutschland, Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy, die Verhängung des Ausnahmezustands in seinem Land. Dies sei »im Zusammenhang eines Übergangs zu sehen«, sagte er im Deutschlandradio.
Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, sieht eine Ursache für die Eskalation zwei Jahre nach der Revolution darin, dass die Ziele soziale Gerechtigkeit und Demokratie, für die Millionen Ägypter auf die Straße gegangen seien, bisher nicht eingelöst worden seien. Der Fraktionschef der Grünen Jürgen Trittin forderte die Bundesregierung in der »Passauer Neuen Presse« auf, sie müsse mit Mursi »unzweideutig Klartext reden«. Eine Stabilisierung sei nicht durch Ausnahmezustand und Todesurteile zu erreichen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.