Das kulturelle Erbe darf nicht einfach so hingenommen werden
Sechs Menschen aus Wissenschaft, Kulturbetrieb und Zivilgesellschaft machen Vorschläge für einen adäquaten Umgang mit »Tim im Kongo«
Joachim Zeller:
»Tim im Kongo« reproduziert so ziemlich alle Stereotypen über Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft, die bis heute in Umlauf sind. Die Schwarzen treten als wulstlippige Trottel in Baströckchen auf, wohingegen der weiße Mann, hier in Gestalt des Protagonisten Tim, wieder einmal als Allwissender und Alleskönner in Szene gesetzt wird. Kinder müssen vor der Indoktrination mit einem solchen, von Rassismen getränkten Weltbild geschützt werden. Doch sind immer noch zahlreiche ähnliche Kinderhefte und Jugendbücher im Handel erhältlich. Schulen, Verlage und Bibliotheken müssen durch Öffentlichkeitsarbeit Aufklärung betreiben und Eltern das vielfältige Angebot an Kinderliteratur nahe bringen, die ein transkulturelles Lernen ermöglicht.
Joachim Zeller ist Historiker und forschte zur Geschichte des visuellen Rassismus. 2010 erschien sein Buch »Weiße Blicke - Schwarze Körper. Afrika(ner) im Spiegel westlicher Alltagskultur«.
Peggy Piesche:
Wer auf rassistische Sprachtraditionen und Repräsentationen in Kinderbüchern - mithin auf unser kulturelles Erbe - hinweist, stößt oft auf Abwehrhaltungen. Doch solche Darstellungen prägen das sich entwickelnde Menschen- und Gesellschaftsbild von Kindern. Beispielsweise können wir Spendenaufrufe mit Bildern nackter, schmutziger Schwarzer Kinder nur begreifen, weil diese Anzeigen auf einem Arsenal sprachlicher und vor allem bildlicher Symbole basieren, welches auch von »Struwwelpeter«, »Pippi Langstrumpf« und »Tim und Struppi« gespeist wird. Es ist Zeit, dass wir auch Kinderbüchern Glossare voranstellen, die Begriffe, Jargons und historische Referenzen (etwa zur Kolonialzeit) erklären.
Peggy Piesche ist eine Schwarze deutsche Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und wuchs in der DDR auf. Sie publizierte zu Rassifizierung von Schwarzen Images, Kolonialgeschichte sowie kollektiver Erinnerung und unterrichtet am Hamilton College im US-Bundesstaat New York.
Georg Seeßlen:
»Tim im Kongo« ist eine Geschichte, deren rassistische Ikonographie, sadistischer Kolonialismus und Brutalität gegen Mensch und Tier immer noch jeden humanistischen und aufgeklärten Leser empören müssen. Und das Heft ist nicht einfach nur aus dem damaligen Zeitgeist zu erklären - nein, »Tim im Kongo« wurde als Propaganda für Kinder produziert. Verharmlosungen, weil es sich ja »nur« um Unterhaltung (und »nur« für Kinder) handele, sind fehl am Platz. Andererseits wären Verwissenschaftlichung, Musealisierung und Warn-Aufkleber fast so gruselig wie der Band selbst - und doch nur eher symbolische Aktionen am Einzelfall. Stattdessen sollten Staat und, mehr noch, Verlag bei Kindern kritische Kompetenz im Bereich der Populärkultur fördern, etwa durch Schulprojekte.
Georg Seeßlen ist Publizist. 2011 veröffentlichte er »Tintin, und wie er die Welt sah. Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums«.
Andreas Michalke:
Comics verdienen die selbe Behandlung wie andere Kunstwerke auch. Die werden auch nicht nachträglich verändert, wenn sie nicht mehr in den Zeitgeist passen, wie im Comic zum Beispiel der kettenrauchende Lucky Luke und Tims Rassismus. Ein solcher Fall ist auch der undeutlich sprechende schwarze Pirat in den »Asterix«-Heften. Den fand ich allerdings immer sehr lustig, wie ich auch den rauchenden Lucky Luke immer einfach cool fand. Tim hingegen war mir immer zu bieder.
Darüber hinaus ist aber klar, dass bei »Tim im Kongo« Handlungsbedarf besteht: Es sollte ein Vor- oder Nachwort eingefügt und ein Warnhinweis auf der Titelseite platziert werden. Zudem sollte das Heft in Läden und Bibliotheken aus den Kinderabteilungen entfernt werden.
Andreas Michalke ist Comiczeichner. Er ist vor allem für den Comic-Strip »Bigbeatland« bekannt, der in der Wochenzeitung »Jungle World« erscheint und auch in Buchform vorliegt.
Dietmar Drews:
Schon als jugendlicher Leser fand ich bei »Tim im Kongo« Handlung und Charaktere zu flach. Die Überzeichnung der Afrikaner als Dummköpfe war mir selbst mit zwölf Jahren so augenfällig, dass ich die Geschichte entgegen meiner Gewohnheit nicht noch ein zweites Mal gelesen, sondern gleich wie einen Fremdkörper abgelegt habe. In einer öffentlichen Bibliothek muss man dieses Heft nicht anbieten. Argumente gibt es genug. Aber unsere Comicleser sind Serienleser und so erreichen uns immer wieder Anschaffungswünsche (vor allem von erwachsenem Publikum). Deshalb gibt es in unserer Bücherei auch »Tim im Kongo«. Ich hätte mir gewünscht, der Verlag »Carlsen« hätte längst eine kommentierte Ausgabe mit Erläuterungen zur Rezeption und Entstehungsgeschichte von »Tim und Struppi« herausgebracht. Andere Verlage haben das für inhaltlich weniger umstrittene Serien, wie »Asterix«, bereits getan.
Dietmar Drews ist in der Stadtbücherei Norderstedt (bei Hamburg) für den Comic-Bestand verantwortlich.
Gertrud Selzer:
Der Comic »Tim im Kongo« ist eindeutig rassistisch. Er gehört meiner Meinung nach nicht in die Kinderbuchabteilungen der Buchhandlungen und Bibliotheken - der Verlag empfiehlt das Buch für 8-10-Jährige - sondern höchstens historisch editiert, für Erwachsene aufgelegt. Das heißt auch: nicht mit einem minimal kleinen Vorwort oder einer Fußnote, sondern mit einer dominanten Einführung, die die rassistisch-kolonialistischen Hintergründe erläutert. So lange das nicht passiert, macht der Verlag »Carlsen« mit Rassismus ein Geschäft - und steht damit übrigens nicht alleine da. Auch andere renommierte Verlage drucken, sei es in Text oder Illustration, Rassismus in Kinderbüchern ab.
Gertrud Selzer ist Inhaberin der Buchhandlung »Rote Zora« in Merzig (Saarland), Vorstandsmitglied des »Aktion 3.Welt Saar e.V.« und Co-Autorin von dessen Flugschrift »AfrikaBilder & Rassismus im Kinderbuch«. Zu diesem Thema hält sie auch seit Jahren Vorträge.
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