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Rot-grüne Eintracht

Harmonische Verhandlungen in Niedersachsen - Verwirrung um Position zu Gorleben

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Niedersachsen ist unter Dach und Fach. In den meisten Punkten konnten sich die Partner in spe schnell auf die Eckpunkte ihres künftigen Regierungsprogramms einigen. Einige Verwirrung gab es am Wochenende beim auch bundespolitisch relevanten Thema Gorleben.

Ganz schnell ging es zu Beginn der Verhandlungen in der Bildungspolitik. Wie im Wahlkampf versprochen, will die künftige Regierung die Studiengebühren abschaffen, allerdings wohl erst zum Wintersemester 2014/2015. Die Einnahmeverluste der Hochschulen will das Land ausgleichen.

An Gesamtschulen soll es das »Turbo-Abitur« nach zwölf Jahren in Zukunft nicht mehr geben, die Gründung eben solcher Schulen will Rot-Grün erleichtern. Das Ganztagesangebot soll erweitert werden, Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sollen vermehrt entstehen.

Auch in der Innenpolitik dauerte es nicht lange bis zu einer Einigung. Für Polizisten soll eine Kennzeichnungspflicht mit Nummern eingeführt werden, wenn sie in geschlossenen Verbänden etwa bei Demonstrationen im Einsatz sind. Bei Beschwerden sollen aber nur der Polizei Rückschlüsse auf einzelne Beamte möglich sein. Hier hatten die Grünen eine namentliche Kennzeichnung der Beamten gefordert. Der Verfassungsschutz soll reformiert und politisch stärker kontrolliert werden.

Die bislang hartherzige Ausländer- und Flüchtlingspolitik des Landes will Rot-Grün »humanisieren«. Was das konkret heißt, müssen Arbeitsgruppen aber noch klären. Zu den ersten konkreten Aufgaben des designierten Innenministers Boris Pistorius (SPD) dürfte die Organisierung der Rückkehr von Gazale Salame gehören. Die Kurdin war vor acht Jahren in die Türkei abgeschoben worden, Noch-Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hatte sich der vom Landtag beschlossenen Heimkehr Salames bis zuletzt widersetzt. Außerdem will Rot-Grün die Hürden für Bürgerbeteiligung senken. Demnach sollen für Bürgerentscheide künftig nur noch 20 000 statt 25 000 Unterschriften nötig sein, für Bürgerbegehren 5000 statt 10 000.

Etwas länger dauerte es dann bei den zunächst strittigen Themen Agrar und Verkehr. Die Koalitionäre vereinbarten, mit Landes- und EU-Mitteln bäuerliche Betriebe stärker zu fördern und den Bau von Großmastställen zu reglementieren. Ein sogenanntes Gülle-Kataster soll Nitratbelastungen des Grundwassers durch Überdüngung der Böden eindämmen und Niedersachsen weitgehend gentechnikfrei werden. Außerdem soll es einen Tierschutzbeauftragten geben.

Zwei von den Grünen bekämpfte Autobahnprojekte sollen zwar weiter verfolgt werden - allerdings mit weniger Nachdruck. Die vom Land für die schnellere Planung zur Verfügung gestellten 16 Millionen Euro werden abgezogen und in den Schienenverkehr gesteckt. Die entscheidende Frage sei nun, ob jemand die Finanzmittel für die Realisierung zur Verfügung stelle, versuchen die Grünen Chefverhandler ihrer Basis den Kompromiss schmackhaft zu machen. Sie hoffen, dass sich der Autobahnbau an dieser Frage quasi von selbst erledigt.

Mit Blick auf die Endlagersuche hatten Weil und sein grüner Verhandlungspartner Stefan Wenzel am Donnerstagabend zunächst auf einen Ausschluss Gorlebens gepocht. 24 Stunden später ruderte Weil zurück: Niedersachsen werde nur einem Gesetz zustimmen, »in dessen Ergebnis Gorleben als Endlagerstandort ausscheidet«. »Die klare Aussage vom Tag zuvor war dahin«, kommentierte die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg den Schwenk. Landes-SPD und -Grüne stünden »unter Druck der Berliner Verhandlungsführer« und seien offenbar »nicht einmal Herr im eigenen Land«. Im Bund befürworten SPD und Grüne nämlich, dass der Salzstock im Wendland zunächst im Suchverfahren bleibt.

Die Verwirrung perfekt machte Weil gestern. In einem Gastkommentar für die »Bild am Sonntag« schrieb er: »Es liegt auf der Hand, dass der Bund und die anderen 15 Länder schnell ein Endlagersuchgesetz beschließen wollen, das auch den Standort Gorleben einschließt. Dem wird die neu gewählte niedersächsische Landesregierung nicht zustimmen.« Bei der Pressekonferenz von Rot-Grün am Nachmittag in Hannover war dann wieder Stand, dass Gorleben nicht von vorn herein, sondern »im Ergebnis« ausgeschlossen werden soll.

Fünf der Ressorts werden von der SPD geleitet: Neuer Finanzminister wird Peter-Jürgen Schneider, Innenminister Boris Pistorius, Kultusministerin Frauke Heiligenstadt, Sozialministerin Cornelia Rund und Wirtschaftsminister Olaf Lies. Bei den Grünen wird Stefan Wenzel Umweltminister, Christian Meyer Landwirtschaftsminister und Gabriele Heinen-Kljajic Wissenschaftsministerin. Auch das Justizministerium bekommen die Grünen - wer es führen wird, stand gestern aber noch nicht fest.

Landesparteitage sollen am 16. Februar über die Vereinbarungen abstimmen. Die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ist für den 18. Februar geplant. Tags darauf kommt der Landtag zur konstituierenden Sitzung zusammen. Dabei soll Weil zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden.

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