Endlich aufhören wegzulaufen!

»Kommt nach vorne« - ein beispielgebendes Motto gegen die sächsische Justiz

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 3 Min.
Markus Mohr wird oft als Alt-Autonomer bezeichnet, versteht sich selbst aber als junger Kommunist. Er lebt seit dem 1. Januar 2005 von Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wird oft als Alt-Autonomer bezeichnet, versteht sich selbst aber als junger Kommunist. Er lebt seit dem 1. Januar 2005 von Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

Am 16. Januar wurde der Genosse Tim vom Vorsitzenden Richter eines Dresdener Schöffengerichts aufgrund einer ihm zugeschriebenen Rolle als »Rädelsführer« u. a. wegen schweren Landfriedensbruches zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Mit der so einfachen wie verständlichen Botschaft »Kommt nach vorne!« soll Tim im Februar 2011 antifaschistische MitstreiterInnen per Megafon dazu aufgerufen haben, Polizeiketten mit dem Ziel zu überwinden, dem größten Naziaufmarsch in Europa den Garaus zu machen. Das hat ganz gut geklappt und trug auf seine Weise zu der Verhinderung der Naziansammlung bei.

Dieser Erfolg des Antifaschismus von Dresden kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Weiß man mittlerweile doch, das auch von dort die mörderische Karriere von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihren Ausgang nahm. Am 24. Januar 1998 demonstrieren sie in Dresden gemeinsam mit dem NPD-Chef Udo Voigt gegen die Wehrmachtsausstellung. Gerade weil es damals Antifaschisten nicht gelungen war, dagegen »nach vorne« zu kommen, konnte Voigt die Ansage in die Menge brüllen: »Der Kampf um Deutschland ist noch nicht beendet.« Und wie es der Zufall wollte, waren die drei NSU-Schergen dort hinter einem Transparent mit der Aufschrift »Nationalismus – eine Idee sucht Handelnde« zu sehen. Vier Tage später tauchten sie ab und entfalteten im Arrangement mit dem Thüringer Verfassungsschutz eine neue Form neofaschistischer Politik und Praxis.

Davon mochte natürlich die sächsische Justiz während der Hauptverhandlung gegen Tim nicht sprechen. Auslassen mochte sich aber der verurteilende Amtsrichter darüber, dass doch schon die »politische Vita« des Genossen zeige, »dass Sie dabei waren«. Noch nicht einmal zur »Gewalt« habe sich der Angeklagte während der Hauptverhandlung erklären wollen. Er müsse sich die Zugriffe der antifaschistischen Bewegung auf störende Polizeibeamte »anrechnen« lassen. Dabei vergaß der Richter auch nicht, die allgegenwärtige Extremismusdoktrin gegen die Antifaschisten durch sich hindurch sprechen zu lassen: Die Auseinandersetzung um das alljährliche Gedenken in Dresden ziehe Rechte und »automatisch auch Linke« an und werde »politisch von beiden Seiten ausgenutzt«. So ein Schmarren!

Zum Teil kommen diese Ansagen des Amtsrichters einer Laudatio für den verurteilten Antifaschisten gleich, die dieser einmal stolz seinen Kindern berichten kann: Dafür beschuldigt und verurteilt worden zu sein, bei einem Naziaufmarsch gerade nicht weggelaufen, sondern nach vorn gekommen zu sein, kommt doch für alle, die so angesprochen werden, einer wirklichen Heldentat gleich. Daran kann nicht das Geringste verwerflich sein, politisch ist das in jeder Weise vorbildlich, soviel ist klar.

Und doch gibt es in dieser Angelegenheit eine große Peinlichkeit: Ein Einzelner ist stellvertretend für uns alle weggeurteilt worden, und wir sind wenigstens in dieser Angelegenheit noch nicht nach vorne gekommen. Zu viele von uns wurden aus Unkenntnis durch das klar ausgesprochene politische Verdikt des Dresdener Amtsrichters überrascht. Das muss sich für die Berufungsverhandlung unbedingt ändern. Das Urteil hat den vor Drakonie nicht zurückschreckenden Strafwillen der sächsischen Justiz gegen die antifaschistische Bewegung und ihre politische Praxis unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.

Als Nächstes sollen der Jugendpfarrer Lothar König aus Jena und Markus Tervooren von der Berliner VVN/BdA von der Justiz zur Strecke gebracht werden. Grund und Anklage: Sie sollen sich vorbildlich organisierend an dem Misslingen des Naziaufmarsches beteiligt haben. Auch dagegen hat für uns alle geistesgegenwärtig die Parole während des Naziaufmarsches vom 19. Februar 2011 zu gelten: »Kommt nach vorne!«

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