Das Aaltaxi

Fische aus dem Main werden per Boot zum Rhein transportiert

  • Christiane Gläser, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Einmal im Leben zieht es den Aal in den Westatlantik, um sich dort zu paaren. Dafür muss er viele Flüsse durchqueren, auch den Main. Doch der war mit seinen 34 Wasserkraftwerken jahrelang eine Todesfalle. Dank eines Fisch-Taxis ist das mittlerweile anders.

Gemünden. Hellbraunes Wasser rauscht direkt hinter dem Wehr kraftvoll an dem Fischerboot vorbei. Die Hochwasser-Strömung zerrt an dem Aalschokker, der sich abwechselnd leicht nach links und rechts neigt. Auf dem mit Schleppnetzen ausgestatteten Segelschiff steht Mainfischer Christian Schätzl. Eigentlich bringt die Fischerei in Franken schon seit Jahrzehnten nicht mehr genug Geld zum Leben ein. Für Schätzl lohnt es sich trotzdem wieder: Seit vier Jahren fängt er die Fische nicht mehr für den Fischmarkt, sondern für die Rhein-Main-Donau-AG (RMD), eine 77-prozentige Tochterfirma des Energiekonzerns E.on. Der 65-Jährige fährt die gefangenen, wanderwilligen Aale aus dem Main zum Rhein und rettet vielen von ihnen damit das Leben.

Das Programm »Catch & Carry« (Fangen und Tragen) gibt es seit 2009. Die Idee kam vom Fischereiverband Unterfranken, der die Aktion auch koordiniert. Ein ähnliches Programm existiert an der Mosel. E.on Wasserkraft betreibt im RMD-Auftrag die meisten der 34 Wasserkraftwerke auf dem Main. »Für den Aal bedeutet das 34 Mal russisches Roulette, weil er 34 Mal durch die Turbinen der Wasserkraftwerke muss«, sagt Wolfgang Silkenat von der Fischereifachberatung des Bezirks Unterfranken.

Guter Verdienst für die Fischer

Sobald der Aal geschlechtsreif ist, wandert er gen Meer, um sich in der Sargassosee im Atlantischen Ozean östlich von Florida zu paaren. Damit möglichst viele dort auch ankommen und nicht vorher zerhäckselt werden, fischen die Mainfischer sie seit vier Jahren aus dem Main. Schätzl fährt sie dann in 1200-Liter-Behältern zum Rhein. Von dort an ist die Flussstrecke Richtung Meer turbinenfrei - wegen der Schonzeit müssen die Aale auch keine Fischer fürchten.

Für die Fischer war das neue Programm eine erlösende Nachricht. Seit 2008 dürfen sie keinen Aal mehr verkaufen, weil das fetthaltige Fleisch des Fisches EU-Grenzwerte bei Umweltgiften wie Dioxin überschreitet. Fangen dürfen Schätzl und seine Kollegen den Aal aus dem Main nun dennoch - nur eben mit anderem Auftrag. Auf dem freien Markt würden sie 8,50 Euro bis 10 Euro pro Kilo bekommen, E.on zahlt bis zu 15 Euro.

Das Projekt ist auf unbestimmte Zeit angesetzt. Es war und ist nach Experteneinschätzung dringend nötig. »Wir können davon ausgehen, dass vor ›Catch & Carry‹ kein einziger Aal den Rhein erreicht hat«, sagt Schätzl. Aber die Taxidienste dürften nicht die letzte Idee der Wasserkraftwerks-Besitzer sein, mahnt der Landesfischereiverband Bayern. »Das ist eine Behelfsmaßnahme, die nicht auf Dauer angelegt sein kann«, sagt Referatsleiter Johannes Schnell. Stattdessen müsse es endlich sinnvolle Schutzmaßnahmen bei den Kraftwerken geben, zum Beispiel spezielle Turbinen - »und zwar für alle Fische und nicht nur für den Aal«. Doch die Technik dafür sei noch immer nicht ausgereift. An jedem einzelnen Kraftwerk werden mindestens 20 bis 30 Prozent der Fische verletzt oder getötet. Neben den Turbinen haben am Fischschwund auch Fischer, Hobbyangler und natürliche Fressfeinde ihren Anteil.

Turbinen auf halber Kraft

Seit Herbst will E.on mit einer zweiten Aktion die Aale schützen: Wenn die Wanderwelle der Tiere beginnt, werden zu den Hochzeiten einige der Turbinen im Main nur noch mit halber Kraft gefahren und zusätzlich die Wehre dort ein wenig geöffnet. Damit soll erreicht werden, dass die Aale mit der starken Strömung durch das Wehr und nicht mehr durch die Turbinen schwimmen.

Seit dem Herbst fischt Schätzl - als »Kontrollfischer« sozusagen - deshalb auch direkt hinter dem Wehr. Er steht mit seinem Aalschokker hinter der Turbine und fischt dort alle drei Tage mit großen Netzen - so kontrolliert er, ob E.on die Wanderwelle richtig berechnet hat. Ist Aalwandertag und die Wehre sind deshalb leicht geöffnet, fischt er auch in der Mitte des Flusses solange nach Aalen, bis die Wanderwelle wieder abklingt. Das tut er mit seinen Helfern mitten in der Nacht, meist tagelang und oft bei Eiseskälte.

»Der Aal wandert meist zwischen September und März. Er nutzt die starke Strömung von Hochwasserwellen, denn er muss für seine lange Reise Kraft sparen.« Optimale Bedingungen seien dunkles, dreckiges Flusswasser - »grauseliges Wetter« - und die Zeit kurz nach Vollmond. »Dann haben wir viele Aale im Netz.« Als »Knochenarbeit« und »nicht ungefährlich« bezeichnet Fischfachberater Silkenat diesen Job.

Diese Projekte schiebt E.on jedoch nicht nur den Fischen zuliebe an. Zum einen schreibt das EU-Schutzprogramm eine Durchgängigkeit der Flüsse vor, zum anderen gibt es zusätzliches Geld für das Einspeisen von Strom über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Dazu müssen aber die Tiere und Pflanzen des Naturraumes Fluss geschützt werden. Von März an werden Schätzls Fangergebnisse ausgewertet. Im Frühsommer sollen der RMD zufolge die Auswertungen vorliegen. Für den Main kann das zeigen, ob die neuen Schutzprogramme tatsächlich erfolgreich sind. Ob am Ende auch wirklich mehr Aale im Meer ankommen, wertet Schätzl zufolge allerdings niemand aus.

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