Geist des interkulturellen Lernens

Berliner Fachschule kümmert sich mit Erfolg um junge Migranten und Flüchtlinge

  • Verena Mörath, epd
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer kulturelle Vielfalt hautnah erleben möchte, sollte das »Zentrum Überleben« in Berlin besuchen. Menschen aus 120 Nationen gehen hier ein und aus. Manche von ihnen besuchen die vor einem Jahr eröffnete Berufsfachschule für interkulturelle berufliche Bildung »Paulo Freire«, um eine staatlich anerkannte Ausbildung zum Sozialassistenten mit dem Schwerpunkt Pflege zu machen. Es ist ein Bildungsangebot, das auf die besondere Situation von Flüchtlingen und Migranten zugeschnitten ist.

»Der Bedarf an Pflegekräften mit interkulturellen Kompetenzen steigt. Deshalb ist es wichtig, die noch zu wenig genutzten Potenziale und Ressourcen von Menschen mit Migrationshintergrund in der Pflege zu fördern«, sagt Marco Hahn, Medizinpädagoge und Leiter der Schule. Denn gerade Flüchtlinge und Migranten hätten oft keine anerkannten Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse - und somit wenig Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das zu ändern, ist Ziel der neu aufgelegten zweijährigen Ausbildung.

Bald feiern die ersten 20 Schülerinnen und Schüler ihr »Bergfest«. Dann ist vom 2720 Stunden umfassenden Lernpensum rund die Hälfte geschafft. Gleichzeitig startet der nächste Kurs mit 25 neuen Schülern. Neben den Fächern im berufsbezogenen Lernbereich werden die zwischen 17 und 40 Jahre alten Teilnehmer auch in Deutsch/Kommunikation, Wirtschafts- und Sozialkunde, Englisch, Mathematik und Sport unterrichtet.

In drei Praxiseinsätzen von fünf, acht und zehn Wochen lernen sie den Arbeitsalltag vorwiegend in Einrichtungen des Berliner Krankenhausbetreibers Vivantes kennen, dessen Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen (IbBG) die Trägerschaft der Schule übernommen hat. Das Institut arbeitet seit Jahren eng mit dem Zentrum für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste zusammen, das bei »Überleben« angesiedelt ist. »Unsere Schüler sind wirklich nicht begünstigt«, urteilt Schulleiter Hahn. »Sie haben mit familiären Konflikten und unterschiedlichen Belastungen aufgrund ihrer Lebensgeschichte zu kämpfen, mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus oder drohender Abschiebung.« Deshalb versuchten Mitarbeiter und Lehrer, jeden Teilnehmer möglichst individuell zu betreuen. Im Pflegebereich sind 15 Dozenten- und Lehrer tätig, die neben der schulischen Arbeit auch Ausbildungsvorbereitung und Pflegebasiskurse anbieten.

»Ich finde es toll, dass die Lehrer hier den Stoff nicht einfach durchziehen, sondern alle in dem Boot mitnehmen«, lobt der Afghane Jakobi Najjib. Auch sei er froh, dass er bei Bedarf Nachhilfe bekomme und bei den Praktika begleitet und unterstützt werde. Der 24-jährige kam mit knapp vierzehn Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus dem Norden seiner Heimat nach Deutschland und wurde im Brandenburgischen Fürstenwalde untergebracht.

»Wir wollen die Schüler nicht einfach auf Leistung trimmen«, erklärt Hahn: »Unser langfristiges Ziel ist es, den Geist des interkulturellen Lernens in der Pflegeausbildung zu etablieren.« Weil das bei einer Schülerschaft aus vielen Nationen, mit unterschiedlichen Kulturen und größtenteils schlechten Bildungsvoraussetzungen nicht immer konfliktfrei geschehe, sei der interkulturelle Dialog fächerübergreifender Bestandteil der Ausbildung.

»Ich habe nie den Kopf hängenlassen, obwohl ich jahrelang auf meine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung warten musste«, berichtet Najjib. Er sei froh, endlich eine Ausbildung machen zu können. Bei guten Leistungen wird nicht nur die Ausbildung zertifiziert, sondern es kann auch der Mittlere Schulabschluss nachgeholt werden. Wer möchte, kann im Anschluss eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger am IbBG beginnen - von drei auf zwei Jahre verkürzt. Sogar ein Studium ist dann noch möglich.

Institutsleiter Ulrich Söding zieht eine positive Startbilanz. Die Teilnehmenden hätten viel Potenzial, »aber sie brauchen eine Initialzündung, um durchzustarten«. Viele müssten erst lernen zu lernen. »Aber wir sind auf dem richtigen Weg«, sagt Söding: »Das zeigen die sehr positiven Rückmeldungen aus der Praxis.«

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