Hunderte protestieren gegen Zwangsräumung in Kreuzberg
Polizei setzt Rausschmiss fünfköpfiger Familie mit Großaufgebot durch
13:15 Der Berliner Linkspartei-Abgeordnete Hakan Tas hat das Vorgehen der Polizei kritisiert. Es gebe keinen Grund für die Zwangsräumung, erklärte er. AUßerdem sei die Polizeiaktion "nicht verhältnismäßig". Er kündigte an, darüber Aufklärung im Abgeordnetenhaus zu verlangen.
11:05 Die Linken-Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak, die in Kreuzberg ihren Wahlkreis hat, erklärte nach der Zwangsräumung, Aufgabe für die Kritiker müsse es sein, »immer wieder zu kommen und immer mehr zu werden«. So könnten Zwangsräumungen so teuer werden, dass sie nicht einmal für die Vermieter »Sinn machen«. Am Donnerstag habe es »eine bittere Niederlage« gegeben, so die Politikerin weiter. »Aber eine solche Niederlage stachelt nur an, weiter zu machen.« Dazu gehöre es auch, »endlich eine Mietpreisbremse einzuführen«.
Zwangsräumungen nehmen in Krisenzeiten in Europa immer mehr zu. In Deutschland wurde in Berlin-Kreuzberg mit Hilfe eines riesigen Polizeiaufgebots eine fünfköpfige Familie aus ihrer Wohnung geräumt, in der sie seit 35 Jahren lebte. Auch in Südeuropa, insbesondere in Spanien, werden in Folge des Platzens der Immobilienblase immer mehr Wohnungen von den Behörden zwangsgeräumt. Hier wie dort wehren sich die Menschen gegen die Räumungen der Wohnungen.
11:00 Das Bündnis "Zwangsräumung verhindern" hat eine erste Bilanz der Proteste gezogen. Während der Aktionskonsens der Kritiker gelautet habe „von uns geht keine Eskalation aus“, habe die Berliner Polizei "angesichts der großen Proteste, die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes staatlicher Gewalt weit übertrieben", heißt es in einer Stellungnahme. "Die massenhafte Teilnahme an den Protesten zeigt aber dass die Menschen sich davon nicht abschrecken lassen. Zur Zeit sammelt sich die Wut und der Protest auf der Straße."
10:45 Im Gebiet rund um die Lausitzer Straße gibt es spontane Demonstrationen und Straßenblockaden. Rund 100 Menschen ziehen protestierend zum hermannplatz - gefolgt von der Polizei. Bei polizeilichen Maßnahmen sind offenbar mehrere Menschen festgenommen worden.
9:45 Der betroffene Mieter, Ali Gülbol, fühle sich nach der Zwangsräumung »wie ein Schwerverbrecher«, berichtet nd-Redakteur Martin Kröger von vor Ort. Der Einsatz eines Hubschraubers zur Durchsetzung der Interessen der Vermieter-Firma sei »völlig überzogen«. Gülbol sagte, der »Kampf beginne jetzt erst«.
9:35 Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes begrüßte die Proteste gegen die Zwangsräumung. Mehr sei am Donnerstag »nicht drin« gewesen, aber es sei »gut, dass so viele da waren«.
Update 9:10 Zwangsräumung vollzogen Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wird von vor Ort gemeldet, dass die Gerichtsvollzieherin die Zwangsräumung vollzogen habe. Vor dem Haus protestierten aber weiterhin Menschen, "Wir bleiben alle"-Rufe seien zu hören. Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Halina Wawzyniak, sprach von einem "bitteren Ende"; Angehörige der Familie bedankten sich für die Unterstützung. Am Mittag soll es offenbar noch eine Kundgebung gegen Verdrängung und Mietenwahn geben. Zuvor waren Polizeibeamte gewaltsam gegen die an der Blockade beteiligten Menschen vorgegangen. Als Beobachter seien zuvor zwei Parlamentarier des Berliner Abgeordnetenhauses in die Wohnung der betroffenen Famliie gelassen worden.
Berlin (nd). Am Donnerstagmorgen haben Hunderte Menschen im Berliner Stadtteil Kreuzberg den Eingang eines Wohnhauses blockiert, um eine angekündigte Zwangsräumung zu verhindern. In der Lausitzer Straße rief die Polizei die Menschen vergeblich dazu auf, die Aktion zu beenden - die Beamten sollen der Gerichtsvollzieherin Amtshilfe bei der Zwangsräumung einer fünfköpfigen Familie verhindern. „Wir machen da nicht mehr mit“, heißt es bei der Protest-Initiative. Die vom Vermieter beantrage Maßnahme sei die „gewalttätigste Form von Verdrängung“, der man „zivilen Ungehorsam“ entgegensetze wolle.
Menschen zeigten Transparente „gegen steigende Mieten“. Am Haus war der Schriftzug "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" befestigt. Andere forderten "Besetzt Häuser, keine Länder!". Auch aus benachbarten Häusern wehten Transparente, auf denen Solidarität mit den Protesten und den von der Zwangsräumung bedrohten Familie bekundet wurde. Vor Ort zogen behelmte Polizisten auf, ein Hubschrauber überflog das Areal. Die umgehenden Straßen sind abgesperrt. Zahlreiche Einsatzfahrzeuge sind in der Lausitzer Straße vorgefahren, die Initiative "Zwangsräumung verhindern" meldet, dass mehrere Personen "brutal aus der Sitzblockade gezogen und andere mit Pfefferspray verletzt" worden seien.
Ein Stadtteilladen, in dem zuvor aus Protest gegen die Zwangsräumung und die Wohnungspolitik eine "lange Nacht" stattgefunden hatte, habe aufgrund der massiven Polizeipräsenz schließen müssen, heißt es. Das Vorgehen der Polizei zeige, "dass hohe Mieten, Verdrängung und Zwangsräumung vom Berliner Innensenat nicht als soziale Frage sondern als reine Sicherheitsfrage behandelt wird". Zu der Blockade hatten zahlreiche Menschen auch über soziale Netzwerke aufgerufen, darunter auch Politiker von Linkspartei, Piraten und Grünen. Am Donnerstagmorgen waren auch Abgeordnete der Parteien bei der Aktion. Die Polizei verweigerte ihnen allerdings den Zutritt zum Haus, wie nd-Kollegen von vor Ort berichten.
Eine Nachrichtenagentur berichtete unterdessen in ihrer ersten meldung von der Blockade, dass eine knappe Stunde vor Beginn der Protestaktion in der Nähe "vier Autos in Brand gesetzt" hätten. "Ob es einen Zusammenhang mit den Protesten gibt, wird laut Polizei geprüft", schreibt die Nachrichtenagentur. In Berlin sind in der Vergangenehit zahllose Fahrzeuge angezündet worden, Politik und Polizei hatten dafür oft vorschnell die linke Szene verantwortlich gemacht.
Der Vermieter, der die Zwangsräumung beantragt hat, ist laut Presseberichten die Franell Consulting GmbH. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als "Dienstleister, der im eigenen Namen und auf eigene Rechnung alle Zwangsversteigerungstermine, verfügbaren Dokumente, Ansprechpartner und Informationen recherchiert, die für einen Erwerb im Zwangsversteigerungsverfahren von Vorteil sein könnten".
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.