Spatz in der Hand statt Taube auf dem Dach?
Bei der Präsidentenwahl in Ecuador stehen die Bewohner des Intag-Tals vor einer schwierigen Entscheidung
Der Fluss Rio Intag tobt wie ein wild gewordener Derwisch durch das nach ihm benannte Tal im Nordwesten Ecuadors. Er hat mehr als 20 Zuflüsse, die ihn in den vergangenen Tagen reichlich mit Wasser gespeist haben. Die Wege sind aufgeweicht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis in der rund 1700 Quadratkilometer großen Region wieder eine der unbefestigten Straßen durch einen Erdrutsch unpassierbar wird.
Von 2400 bis auf rund 500 Meter über dem Meeresspiegel fallen die Berge hier ab. Die »Rockzipfel der Anden« sind immergrün, tropisch mild und feucht, voller Schluchten und Steilhänge - und schwer zugänglich. Doch das soll sich jetzt ändern. »Die Revolution macht man mit Bauten«, heißt es auf einer der riesigen Werbetafeln, die auf Maßnahmen der von der Regierung unter Präsident Correa ausgerufenen »Bürgerrevolution« (Revolución Ciudadana) hinweisen. Die Intag-Region, deren Bewohner in den vergangenen 18 Jahren die Realisierung von 23 Bergbaulizenzen abgewehrt haben, wird eine asphaltierte Straße erhalten.
Die rund 17 000 Einwohner der Region haben schon lange eine solche Asphaltverbindung gefordert. Sie werde »tausenden Touristen den Zugang zu dieser Region voller Landschaften und Naturressourcen ermöglichen«, schwärmte der Leiter der Provinzregierung von Imbabura, Diego García Pozo, in einer Presseerklärung vom November vergangenen Jahres. Die Lebensqualität werde sich verbessern, er erwarte eine »Dynamisierung der Produktion«. Die Regierung hat viele Straßen ausgebaut - sichtbare und für alle nützliche Bauten. Diese Straße wird das Handels- und Tourismuszentrum Otavalo mit der Intag-Region verbinden: Knapp 62 Kilometer Asphaltband sollen 14 Millionen US-Dollar kosten. Ende Dezember 2013 soll es laut Plan fertig sein. Für die Inteños, wie die Bewohner des Intag genannt werden, beginnt damit eine neue Zeit.
Die junge Generation der Inteños verlässt das Tal
»85 Prozent der Böden im Intag liegen an Hängen, die einen Neigungswinkel von mehr als 35 Grad haben«, erklärt der Agronom José Cueva. Er zog 1997 ins Intag-Tal und bewirtschaftet heute eine fünf Hektar große Finca im ökologischen Agroforstanbau: Zuckerrohr, Bananen, Kaffee. Die ersten Siedler waren vor rund 100 Jahren ins Intag gekommen, weiß der Vorsitzende des NGO-Dachverbandes der Region »Konsortium Toisan«. Über zwei Generationen wurde Primärwald in Agrarland umgewandelt. Aufgrund der zunächst hohen Bodenfruchtbarkeit waren die Erträge gut. Inzwischen seien die Ernten jedoch mager, so wie eben auch die Böden. Und die dritte Generation der Inteños wandere seit den 90er Jahren in die Städte und ins Ausland ab. »Eine Intervention des Staates hätte erfolgen müssen, um dieses Land angemessen zu bewirtschaften, aber die hat es hier nie gegeben«, kritisiert José Cueva.
Agroforstanbau bedeute, »mit dem Wald zu arbeiten, statt ihn zu roden«, erläutert der Agronom. Diese Art der Landwirtschaft erfordere auch einen kulturellen Wandel, der »theoretisch mit der Jugend leichter zu bewerkstelligen wäre«. Doch die Bildungsinstitutionen, meint Cueva, vermittelten dem Nachwuchs, dass man das Land nach Kriterien der Agrarindustrie bewerten und behandeln müsse. Zudem seien die Löhne niedrig. Wer rackert sich schon für 15 US-Dollar am Tag am Steilhang ab, wenn er in der Hauptstadt Quito 25 verdienen kann?
Es scheint sich alles um Geld zu drehen. Und wie steht es um die aus der indigenen Kosmovision hergeleitete Maxime des »Buen Vivir«, des »Erfüllten Lebens«, wonach Entwicklung auf weit mehr als auf rein konsumorientierte Werte oder auf Mehrwert gerichtet sein sollte? Das »Buen Vivir« wurde 2008 nach einer verfassunggebenden Versammlung sogar in Ecuadors Verfassung verankert. Wenn man im Intag nicht gerade Umweltaktivisten nach der Bedeutung des »Buen Vivir« fragt, ist die Antwort allerdings ein ratloses Schulterzucken.
Auch José Cueva winkt ab: »Das ist ein Slogan, den die Regierung zur Zeit der verfassunggebenden Versammlung aufgriff, als die sozialen Bewegungen erklärten: Wir wollen keine Kopie von Entwicklung, wir wollen dieses Modell nicht, das die Weltbank, die Europäische Union oder China uns vorschreiben, das sich am Wachstum von Infrastruktur und Bruttoinlandsprodukt orientiert. Wir wollen eine von innen und nach innen gerichtete, eine endogene Entwicklung.«
»Buen Vivir« sei ein Ideal aus der andinen Welt, eine nicht realisierbare Utopie. Das Entwicklungsmodell der Regierung, sagt Cueva, sei aber klassisch extraktivistisch, beruhe auf dem Rohstoffexport. Das fuchst viele Aktivisten im Intag, die Correa bei der verfassunggebenden Versammlung und bei der Wiederwahl 2009 unterstützt hatten. Danach habe er seine Politik geändert, zugunsten des Mega-Bergbaus.
An der Landstraße vor Cuevas Finca steht eine große Werbetafel für einen anderen Präsidentschaftskandidaten - Alberto Acosta. Der Ökonom war einst Minister für Energie und Bergbau unter Correa, er war auch Vorsitzender der verfassunggebenden Versammlung - doch bei der Ausarbeitung der Verfassung kam es zum Bruch. Im jetzigen Wahlkampf mit acht Kandidaten hat sich Acosta eindeutig gegen den Mega-Bergbau ausgesprochen.
An den Kämpfen gegen den Bergbau im Tal war Cueva selbst beteiligt. Zuletzt waren im Jahre 2007 Paramilitärs in der Nähe des Dorfes Junín aufgetaucht, die helfen sollten, der kanadischen Firma Ascendent Copper den Kupferabbau zu ermöglichen.
Gegen Bergbau, aber für Rafael Correa
Mitte der 90er Jahr begannen Umweltaktivisten, unterstützt aus dem Ausland, von der Kirche und von Freiwilligen, den Inteños alternative Einkommensquellen zu erschließen, denn dass der Bergbau Arbeitsplätze schaffen würde, war das Hauptargument der Befürworter des Kupferabbaus. Seither gibt es im Intag unter anderem eine Kaffeekooperative und gemeindebasierten Ökotourismus. Kosmetika werden hergestellt, Wälder durch Kauf vor der Abholzung geschützt. Noch vor elf Jahren gab es keinen Strom, kein fließend Wasser, kein Internet und kein Telefon im Intag. Strom und Wasser fließen inzwischen, die Jugend sitzt in den Infozentren und chattet via Facebook. Die bunte Welt ist im Intag angekommen und weckt Begehrlichkeiten.
Doch so beeindruckend die Alternativen sind - ohne Geld der internationalen Entwicklungszusammenarbeit oder die Unterstützung durch Freiwillige läuft es noch nicht. Und nicht alle Bewohner profitieren von den Projekten der Umweltschützer. Wenn jedoch weder die Landwirtschaft noch die alternativen Projekte Geld in die Haushaltskasse spülen, sind Sozialleistungen der Regierung - die sogenannten »Bonos« - besonders wichtig. Alte, Behinderte oder alleinerziehende Mütter erhalten die monatliche Unterstützung, es gibt Stipendien für Kinder aus armen Familien und Hilfen für den Hausbau. Das alles zahlt eine Regierung Correa, die den Kupferabbau im Intag vorantreiben möchte. Ob die Bevölkerung jetzt noch einmal eine Bergbaulizenz abschmettern wird?
An den Häusern im Intag flattern vor allem die grellgrünen Fähnchen von Correas Bündnis Alianza País. »Lieber ein bekanntes Übel als das unbekannte Gute«, erklärt die Hausfrau Doña Elena im Brustton der Überzeugung. »Ich bin auch gegen den Bergbau. Aber ich werde Correa wählen«, sagt sie. Alberto Acosta kenne sie doch gar nicht.
Förderhinweis: Unsere Autorin bereiste Ecuador mit Unterstützung von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst.
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