Die Stunde der Schulterklopfer
Landesparteitage von SPD und Grünen in Niedersachsen billigten einmütig den Koalitionsvertrag
Ruck, zuck hatten die 210 Delegierten beim SPD-Parteitag den Koalitionsvertrag durchgewinkt. Ohne Gegenstimmen, ohne Enthaltung. Ebenfalls im Galopp war zuvor die »Aussprache« zum 96 Seiten starken Bündnispapier über die Bühne gegangen, in gut zehn Minuten. Nur ganz wenige Genossen hatten sich zu Wort gemeldet, und was sie vorbrachten, riss niemanden vom Stuhl. So blieb auch jener Mahner ohne Resonanz, der die neue Regierung aufforderte, sich auf Bundesebene für eine Vermögenssteuer einzusetzen, deren Höhe »richtig weh tut«. Das sei nötig, um genügend Geld für alle rot-grünen Vorhaben im Land zu bekommen.
Wie eine Generalprobe der Regierungserklärung wirkte streckenweise die Parteitagsrede des SPD-Landeschefs und designierten Ministerpräsidenten Stephan Weil. Kurz ging er auf einige Punkt des Koalitionsvertrages ein, zu denen es kritische Stimmen gegeben hatte. So etwa zum umstrittenen Weiterbau der Autobahnen A 20 und A 39. Die Verkehrswege seien wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, und diese sei »auch eine Basis des Sozialstaates«. Jene Landwirte, die den künftigen grünen Agrarminister Christian Meyer als »Bauernschreck« fürchten, versuchte Weil zu beruhigen: »Wir wollen mit der Landwirtschaft eng zusammenarbeiten, wollen Dialog, nicht Diktat.« Der Parteitag verlief zügig, gedieh oft zur Stunde der Lobredner, der Händeschüttler und Schulterklopfer, allen voran Stephan Weil: Schon lange nicht mehr habe er in seiner Partei »soviel Disziplin und Geschlossenheit erlebt wie im Vorfeld der Landtagswahl«, so rief er aus, mit Standing Ovations belohnt.
Wie gut sich auch die Grünen aufs Schulterklopfen verstehen, zeigte ihr Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Jürgen Trittin. Auf dem Landesparteitag posaunte er: »Wenn es eine rot-grüne Landesregierung gibt, dann liegt das ausschließlich an Grün.« Wie von Grünen-Treffen vertraut, dauert dort das Diskutieren etwas länger, und so erforderte die erste Phase des zweitägigen Treffens gut fünf Stunden - knapp zwei hatten die Sozialdemokraten benötigt. Aber wie bei ihnen herrschte auch bei den Grünen Einigkeit in punkto Koalitionsvertrag. Kritische Stimmen waren trotz alledem zu hören - zu den Autobahnen A 20 und A 39, deren Weiterbau viele Parteimitglieder ablehnen. Und: Ungern wird in Teilen der Basis die Verquickung von Landtagsmandat und Ministeramt gesehen. Die künftigen grünen Minister - vier von neun Regierungsmitgliedern - sollten daher ihren Sitz im Parlament frei machen für Nachrücker, so lautete ein Antrag im Parteitag. Doch dieser Wunsch fand keine Mehrheit.
Am Sonntag stand die Wahl eines neuen Landesvorstands an. Amtsinhaber Jan Haude aus Hannover wurde als Vorsitzender bestätigt. Den weiblichen Part an der Spitze hat fortan Julia Willie Hamburg aus Goslar inne. Sie löst Anja Piel ab, designierte Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag.
Die konstituierende Sitzung des Parlaments beginnt morgen mit der Wahl des Landtagspräsidenten. Der bisherige Justizminister Bernd Busemann (CDU) darf sich dieses Amtes sicher sein. Trotz seiner Alkoholfahrt, bei der er jüngst von der Polizei ertappt worden war, wird er auch die Stimmen der SPD-Fraktion bekommen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.