Der Preis des Rassismus
Im kleinen niedersächsischen Dorf Undeloh mag man Fremde – aber nur, wenn sie zahlen
Vielleicht ist es die politischste Erklärung im Leben von Traute Müller: »Asyl gehört zu den grundlegenden Menschenrechten«, schrieb sie am Freitag vergangener Woche. »Entschieden« wende man sich gegen »Ausländerfeindlichkeit«. Für »die Integration von Migranten« setze man sich ein. Darunter steht: »Verkehrsverein Undeloh und Umgebung«.
Ursprung der ungewöhnlichen Politisierung im Vereinsleben eines 400-Einwohner-Dorfes irgendwo in der Lüneburger Heide ist eine Gemeinderatssitzung vor zwei Wochen. Eine Nutzungsänderung für ein Café am Ortsrand steht auf der Tagesordnung. Ob die Undeloher bereit seien, Flüchtlinge dort aufzunehmen, fragt der übergeordnete Landkreis an. Nein, antworten die Gemeinderäte einstimmig und begründeten ihre Entscheidung mit allerlei rassistischen Stereotypen.
»Wer schützt unsere Frauen vor den Asylanten?«, wendet sich ein Gemeindevertreter gegen die Unterbringung von 29 Asylsuchenden. »Wir haben zwei kleine Mädchen. Kann mir einer hundertprozentig sagen, dass das gut geht?«, fragte ein anderer die rund 70 Anwesenden. Sorgen um den heimischen Tourismus bestimmen die Diskussion: »Unsere Gäste sind hier um sich zu erholen, wir wollen keine Dunkelhäutigen und keine Frauen mit Kopftüchern sehen«. »Wer ersetzt die Wertminderung«, fragt ein Anwohner in Befürchtung sinkender Grundstückspreise.
»Ich sage nichts mehr«
Für Sascha Mummenhoff dagegen ist klar, dass Rassismus Undeloh zumindest sein Image kosten kann. »Das kleine Tourismus-Juwel Undeloh hat gestern eindrucksvoll bewiesen, dass nur zahlende Ausländer willkommene Gäste sind«, kritisierte der Lokaljournalist am Tag nach der Veranstaltung. Überregionale Zeitungen griffen die Geschichte auf, Flüchtlingsinitiativen prangerten den Rassismus im Dorf an, der NDR schicke ein Kamerateam.
Wie unvermittelt die Undeloher die Kritik traf, macht Albert Hohmanns deutlich – durch sein Schweigen. »Nein, ich sage nichts mehr. Nein, auch nicht telefonisch«, antwortet der ehrenamtliche Bürgermeister. Man möge doch Verständnis haben, bittet er in bedrücktem Ton, der es schwer macht, ihm zu widersprechen.
Doch »Verständnis« ist sicherlich das letzte, was Kai Weber zum Thema einfällt. Undeloh sei ein »typisches Beispiel für Rassismus in der Mitte der Gesellschaft«, kritisierte der Vorsitzende des Flüchtlingsrates Niedersachsen die Dorfbewohner. »Fast noch schlimmer« sei allerdings »die Unfähigkeit, sich von den rassistischen Äußerungen zu distanzieren«.
»Es ist doch längst alles gesagt«, erwidert Hohmann resigniert auf den Vorwurf. Mit »alles« meint er einen offenen Brief des Gemeinderates. In diesem distanzieren sich Gemeindevertreter zwar pflichtschuldig von der »Darstellung ausländerfeindlich und rassistisch zu sein«.
Sie machen aber zugleich deutlich, wie wenig sie den Kern des Problems erfasst haben: »Zahlreiche Gäste haben sich von Undeloh als Urlaubsort abgewandt.« »Bedrohung und Diffamierung von Mitgliedern des Gemeinderates« habe es gegeben. Sowieso sei der wahre Grund für die Ablehnung des Antrages die »fehlende Busanbindung« und »Sozialverträglichkeit« gewesen.
Anlass zur Hoffnung
Tatsächlich gibt es mit fehlenden Einkaufs-, Nahverkehrs- und Integrationsmöglichkeiten gewichtige Gründe, die gegen die Unterbringung von 29 Flüchtlingen irgendwo zwischen Autobahnabfahrt Egestorf und Tister Bauernmoor sprechen. »Jedes ›Dschungellager‹, in denen Asylsuchende von der Öffentlichkeit abgeschnitten oft Jahre ihres Lebens verlieren ..., ist eines zu viel«, findet auch die Organisation zum Schutz von Flüchtlingen Proasyl. Trotzdem müsse man »aufpassen, den ekelhaften Rassismus der Undeloher« nicht zu legitimieren, warnt Weber und fordert die Undeloher auf, sich unabhängig von Imagesorgen mit eigenen Vorurteilen zu beschäftigen.
Zumindest einige Undeloher geben nun Anlass zur Hoffnung. Eine Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit will Traute Müller und ihr Verkehrsverein nun starten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diesmal nicht nur zahlende Ausländer gemeint sind.
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