Licht, Wärme und die Bürgerrechte
Massendemonstrationen in den bulgarischen Städten zwingen Regierung Borissow zum Rücktritt
Die neuerliche Erhöhung der Strom- und Heizungspreise, die vor allem jene zwei Drittel der Bevölkerung trifft, die an oder unter der Armutsgrenze leben, war für die Mehrheit nur der Anlass zum Protest. Eigentlicher Beweggrund der Bulgaren ist die Forderung nach jenen demokratischen Grund- und Bürgerrechten, auf die sie schon seit dem Fall des Eisernen Vorhangs warten.
Um dies am Beispiel der Energieversorgung zu demonstrieren: Die Versorger gestalten Verträge und Preise nach Belieben, die Verbraucher aber können sie so gut wie gar nicht kündigen. Wenn etwa in der Rechnung das Komma aus Versehen zwei Stellen nach rechts gesetzt wurde, soll der Verbraucher die astronomische Summe erst einmal bezahlen, bevor er Widerspruch einlegen kann. Bei der Verteilung der Energiekosten in einem Plattenbau auf die einzelnen Haushalte wird oftmals der individuelle Verbrauch nicht berücksichtigt. Die Wärmeverbrauchsmesser, die vor zehn Jahren installiert wurden, arbeiten zwar mit einem vierstelligen Zählwerk, geben aber nicht die verbrauchten Kilowattstunden an, sodass die Kunden ihre Rechnungen nicht überprüfen können. Ein Wechsel zu alternativen Wärmeanbietern ist wegen des Versorgungsmonopols in mehreren Großregionen des Landes nicht möglich. Während die Energieversorgungszentralen die Verbraucher per Gerichtsbeschluss von heute auf morgen zur Zahlung ihrer Rechnungen zwingen können, ziehen sich Prozesse der Verbraucher gegen die Energieriesen oft über mehr als zehn Jahre hin, kritisierten die Organisatoren der Proteste.
Im Sommer 2012 hatten Bürgerrechtler durch Eingaben und Petitionen bei den Energieversorgern, bei der Energiekontrollkommission des Parlaments und allen einschlägigen politischen Institutionen wiederholt gefordert, dass diese Missstände behoben werden. Ihre Anliegen verhallten jedoch ungehört. Die deutlich erhöhten Stromrechnungen für Dezember und Januar ließen das Fass der Geduld überlaufen und trieben die Massen auf die Straße. Sprecher der Protestierenden erläuterten, dass 60 Prozent der Rechnungssummen aus Gebühren und Verwaltungskosten resultieren, die nur vermieden werden könnten, wenn die Energieversorgung wieder verstaatlicht und Zwischenhändler ausgeschaltet würden.
Auf einer Pressekonferenz ging Ministerpräsident Boiko Borissow Punkt für Punkt auf die Forderungen der Demonstranten ein. Er sprach sich gegen eine Rückkehr zur staatlichen Energieversorgung aus, betonte aber, es gebe keine Zwischenfirmen, durch die der Preis in die Höhe getrieben würde. Durch die geforderte Erhöhung des Energieversorgungsanteils des Kernkraftwerks Koslodui könne er nach vorläufigen Schätzungen eine Senkung des Strompreises um etwa 8 Prozent bis Anfang März versprechen. Um eine demokratische Kontrolle des Energiesektors zu ermöglichen, bot Borissow an, die Hälfte der Vertreter seiner Partei GERB (Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens) aus der Regulierungsbehörde für Energie und Wasser zurückzuziehen und an ihrer Stelle Vertreter von Bürgerrechtsorganisationen wählen zu lassen. Die Oppositionsparteien rief er auf, diesem Beispiel zu folgen.
Sergej Stanischew, Vorsitzender der Sozialisten (BSP), erklärte jedoch am Dienstag, eine Regierung, die abgewirtschaftet habe, solle nicht auf die Unterstützung der Opposition hoffen, sondern zurücktreten. Auch Ljutfi Mestan, Vorsitzender der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), forderte Neuwahlen, da in einer Demokratie der Wähler entscheide, welcher politischen Vertretung er die Lösung der gesellschaftlichen Probleme am ehesten zutraue.
Unter den Protestrufen der Demonstranten waren zwar auch solche nach dem Rücktritt Borissows und seiner Regierung, es überwogen aber Transparente und Rufe wie »Zündet die Monopole an« und »Schluss mit der Mafia«. Doch um nicht als Zielscheibe des Volkszorns politisch unterzugehen, reichte die Regierung am gestrigen Mittwoch ihren Rücktritt ein. »Ich will nicht an einer Regierung beteiligt sein, unter der die Polizei Menschen schlägt und unter der die Bedrohungen durch Proteste politische Debatten ersetzen«, sagte Borissow, der einstige Hoffnungsträger. Er stehe auch nicht für eine Übergangsregierung zur Verfügung. Die Neuwahl des Parlaments, ursprünglich im Juli fällig, wird nun für April oder Mai erwartet.
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