Verschiebbare Zahlenkolonne ohne Mieterrechte

Wohnungsunternehmen wälzen Kosten für Schäden häufig auf die Bewohner ab

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Defekte Lichtschalter sind für Elektriker eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Die richtige Abrechnung einer solchen Reparatur kann dagegen 15 Monate dauern, wenn der Vermieter ein europaweiter Großinvestor ist. Ein Erfahrungsbericht.

Eine renovierte Zweiraumwohnung in einem Chemnitzer Altbau kurz nach dem Einzug eines jungen Paares. Die Wände frisch gestrichen, neuer Laminatboden wurde vom Vermieter noch kurz vor dem Einzug verlegt. Aufgrund des akuten Leerstandes sind solche Maßnahmen für viele Wohnungseigentümer in Chemnitz obligatorisch, um für Mieter überhaupt attraktiv zu sein. Kein Vergleich zu Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg, wo potenzielle Interessenten um fragwürdige Wohnstandards konkurrieren. Vermieter in unserem Fall war ein europaweit tätiger und an der Börse notierter Immobilienkonzern mit über 50 000 Wohnungen. Anteilseigner sind »internationale Konzerne aus der Finanz- und Versicherungswirtschaft«, wie es auf der Firmenwebseite heißt.

Bis auf den Hausmeisterdienst gab es keinen lokalen Ansprechpartner. Sämtliche Mieteranliegen wurden in zwei Niederlassungen des Unternehmens, einige Hundert Kilometer entfernt, in Norddeutschland bearbeitet. Kontakt zum Vermieter wurde entweder per Post oder mittels einer 0180-Mieterhotline hergestellt. Drei Tage nach der offiziellen Wohnungsübergabe stellten wir fest, dass die von uns angebrachte Deckenleuchte im Schlafzimmer nicht funktionierte. Nach einer kurzen Besichtigung des Falls durch den Hausmeister holte dieser einen Elektriker dazu. Dieser brauchte nur wenige Minuten, um die Fehlerquelle in Form eines falsch angebrachten Lichtschalterkabels zu reparieren. »Solche Fehler passieren bei Renovierungsarbeiten häufig«, klärte der Fachmann auf. Der Fall schien erledigt.

Allein der Vermieter sah dies zehn Monate später anders und schickte eine Rechnung über 73,78 Euro. Das Unternehmen berief sich auf die in fast allen Mietverträgen enthaltene Kleinreparaturklausel, deren Grenze um nicht einmal zwei Euro unterschritten wurde. Wäre der Betrag höher ausgefallen, hätte der Vermieter die Kosten übernehmen müssen.

Bei einem Widerspruchsschreiben blieb es nicht. Erreichte ein Brief das Mieterbüro in Kiel, reagierte dieses nicht oder die Antwort kam einige Monate später von der zweiten Niederlassung in Hannover. Antwortete wir diesem Absender, gab es wiederum Post aus Kiel. So häufig wie die Adressaten wechselten die menschlichen Ansprechpartner.

Noch weniger Erfolgsaussichten boten Klärungsversuche über die Mieterhotline. Nach einigen obligatorischen Minuten der Warteschleife ins Callcenter durchgestellt, schilderte wir unseren Fall dem bei jedem Anruf wechselnden Gegenüber immer wieder neu. Klärung schafften die Telefonate nicht. Der zuvor geführte rege Briefwechsel lag dem Mitarbeiter entweder nur lückenhaft vor oder die zuständige Abteilung bearbeitete gerade den Fall.

Hätten wir uns für eine Wohnung bei einer kommunalen Gesellschaft entschieden, wäre das Problem mit einem Besuch des Mieterbüros und klaren Ansprechpartnern vielleicht schnell lösbar gewesen. Im Fall des fernen Großinvestors, der wohl aus Renditegründen auf ein lokales Büro verzichtete, degradierte dieser uns zu einer verschiebbaren 15-stelligen Zahlenkolonne.

Sechs Monate nach dem letzten Kontakt, wir waren inzwischen zu einer lokalen Vermietung gewechselt, erreichte uns erneut Post aus Kiel. Ohne Gründe zu nennen, erklärte der Konzern, auf seine Forderungen zu verzichten.

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