Flüchtlinge kommen nach Teltow

Vereine bieten Hilfe an. Es gibt aber auch hässliche E-Mails

  • Theo Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Mittag des 4. Februar erreicht ein Feuerwehrbus mit 40 Personen die Iserstraße in Teltow. Er transportiert Flüchtlinge aus Tschetschenien, Pakistan und aus dem Tschad. Sie sind die ersten Bewohner einer neuen Asylbewerberunterkunft in Teltow, in die im Laufe des Monats bis zu 195 Menschen einziehen werden. Der Großteil der Flüchtlinge von ihnen kommt aus dem Erstaufnahmelager Eisenhüttenstadt, das immer wieder für seine schlechten räumlichen und hygienischen Zustände in der Kritik stand. Rund 40 Flüchtlinge werden zudem aus Bad Belzig erwartet. Seit Wochen herrscht reges Treiben in dem neuen Asylheim. Handwerker und Angestellte laufen durch die Flure, denn bis heute ist vieles erst noch provisorisch eingerichtet.

Bei dem Gebäude handelt es sich um einen frisch sanierten, fünfstöckigen Wohnblock, der zu DDR-Zeiten als Internat für Lehrlinge der »VEB Geräte- und Reglerwerke Teltow« errichtet worden war und rund 70 Zwei- und Dreiraumwohnungen enthält. Ursprünglich waren dort hauptsächlich Quartiere für Senioren vorgesehen. Doch nun wurde das Gebäude von der Stadt kurzfristig angemietet, weil durch die steigenden Flüchtlingszahlen in Deutschland auch in Brandenburg die Unterbringungsmöglichkeiten knapp werden. Vom Bundesinnenministerium veröffentlichte Zahlen weisen 7332 Asylanträge für Januar 2013 aus, was eine Steigerung von 50,2 Prozent gegenüber dem Vormonat darstellt.

Solange über die Anträge nicht entschieden wurde, befinden sich die Flüchtlinge teilweise mehrere Monate in einem belastenden Schwebezustand, ob ihnen die Abschiebung droht oder Asyl gewährt wird. Nach Behördenangaben stammen derzeit die meisten Asylbewerber aus Syrien, dicht gefolgt von denen aus Russland und Afghanistan.

Immerhin 347 Menschen aus Pakistan beantragten im Januar Asyl in Deutschland, so wie vor einigen Monaten Muhammad. Er lebt nun in dem Heim in Teltow, teilt sich mit zwei Mitbewohnern eine spartanisch eingerichtete Wohnung im ersten Stock. Neben einer Kochnische befindet sich im Wohnzimmer nur ein Tisch mit drei Stühlen. Doch Muhammad beklagt sich nicht, wirkt sogar recht zufrieden mit dem hellen Zimmer und der Größe der Wohnung, denn er kennt auch die Zustände in Eisenhüttenstadt, wo er nach seiner Ankunft vor vier Monaten unterkam. Der Grund seiner Flucht aus Pakistan sind die gewalttätigen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten und der Unwille und die Unfähigkeit der Behörden, ihn zu schützen, berichtet Muhammad. Er wurde mehrfach überfallen und beraubt. Als er eines Tages eine bewaffnete Gruppe schon von weitem lauern sah, ergriff er die Flucht, während die Verfolger das Feuer auf ihn eröffneten. »Zwei Kugeln trafen nur das Auto, aber eine Dritte ging in meinen Arm«, erklärt er und zeigt auf seine Schussverletzung.

Seine Familie forderte ihn deshalb auf, den Ort zu verlassen, was ihn zunächst in die Hauptstadt Islamabad führte. Als er dort jedoch fast Opfer eines Bombenanschlags wurde, entschloss er sich, das Land zu verlassen. Seinen Mitbewohnern erging es ähnlich. Mohammad Usman zeigt eine dreißig Zentimeter lange Narbe am Unterarm, die ihm zugefügt wurde. Die drei freuen sich über Besuch. Das ist mal eine Abwechslung. Denn trotz Qualifikation und Erfahrung dürfen sie aufgrund der Asylgesetzgebung nicht in Deutschland arbeiten. Zur Langeweile kommt offenbar auch ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken daran, vom Staat ohne Gegenleistung finanziert zu werden. Jedem Asylbewerber steht eine geringe Summe Geld zur Verfügung, allerdings erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass die bisherigen Leistungen für Flüchtlinge »menschenunwürdig« sind.

Von den Einwohnern Teltows erlebt Mohammad Usman wenig Ablehnung. In seinen Augen liegt das in erster Linie an der Sprachbarriere. »Die Leute, die Englisch sprachen, hatten bisher immer Verständnis für meine Situation«, sagt er. Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) weiß von vielen Initiativen und Vereinen, die sich meldeten und helfen wollten. Allerdings weiß er auch von »hässlichen Äußerungen«, die per E-Mail das Rathaus erreichten. Einige waren so heftig, »dass man überlegt, ob man den Staatsschutz einschalte«. Unter anderem deswegen gab es im Vorfeld der Inbetriebnahme des Heims auch eine Sicherheitskonferenz mit Polizei, Feuerwehr und Verwaltung. Doch bisher blieb es ruhig.

Zum Glück gibt es in Teltow nur eine schwache rechte Szene. Nach einer Einschätzung des Netzwerks Tolerantes Teltow hat sich die Situation in den letzten Jahren deutlich verbessert, spätestens mit der durch engagierte Anwohner erwirkten Schließung eines rechten Szeneladens. Damals gab es eine organisierte Szene, die aber in weiten Teilen nach Potsdam oder Berlin abgewandert sei. Zudem ist die NPD in der Stadt nicht aktiv, bekam bei der letzten Wahl lediglich 193 Stimmen. Diese Einschätzung bestätigen auch die Neonazis selbst: Auf einem Berliner Szeneportal wurde ein weinerlicher Hilferuf veröffentlicht, der fordert: »Es wird Zeit, dass sich ein Nationaler Widerstand neu formiert!«. Rassistisch wird da gegen die neuen Bewohner in der Iserstraße gehetzt.

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