Zuflucht im Kirchenschiff

Ein Gotteshaus in Wien ist seit Wochen Herberge für protestierende Flüchtlinge

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
Neben den Protestaktionen in Deutschland machen europaweit vor allem die seit Anfang Januar in der österreichischen Hauptstadt in der Votivkirche für einen legalen Aufenthaltsstatus kämpfenden Flüchtlinge auf sich aufmerksam.

Seit zwei Monaten harren über 60 Flüchtlinge bei eisigen Temperaturen in der Wiener Votivkirche aus. Der Schutz der Kirche ist freilich ein relativer. Vor den Toren des Gotteshauses wartet die Polizei. Erst Anfang der Woche wurden zwei Asylsuchende, die sich kurz hinausgewagt hatten, festgenommen. Ihnen droht die Abschiebung. Die Lage ist explosiv. Eine Wortmeldung des Staatspräsidenten hat sie nicht entschärfen können.

Hinter dem versperrten schmiedeeisernen Kirchentor halten Männer des privaten Sicherheits- und Gefängnisdienstes »Group 4« Wache. Journalisten hätten keinen Zutritt zu den Flüchtlingen, lautet die Reaktion auf das Vorweisen des Presseausweises. Eine herbeigerufene Frau der Caritas vergewissert sich jedoch nur, dass keine Fotos gemacht werden und heißt die »Group 4«-Beschäftigten das Tor zu öffnen.

Barocke Musik dröhnt aus dem neugotischen Haus, mehrmals die Woche übt hier ein Organist. Die aus Pakistan und Afghanistan stammenden Flüchtlinge sind schon gewöhnt daran. Ihr Zustand hat sich in den vergangenen Wochen physisch verbessert und psychisch verschlechtert. Für ersteres zeichnet der Abbruch eines mehrwöchentlichen Hungerstreiks verantwortlich, der vielen der Männer hart zugesetzt hat. Das politische Gezerre um Legalität oder Illegalität ihres Asylkampfes hat indes an ihren Nerven gezehrt.

Khan Abalat, ein 47-jähriger Paschtune, war von Anfang an dabei. Er versteht nicht, warum man ihn und seine Mitstreiter politisch oder gar physisch verhungern lassen will. Tatsächlich hat sich die Situation seit der Wortmeldung des österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer Mitte Februar verschlechtert. Sein Versprechen, den Flüchtlingen helfen zu wollen, hat er nämlich an zwei Bedingungen geknüpft: Sie sollten den Hungerstreik abbrechen und die Kirche verlassen.

Ein Verlassen des Gotteshauses scheint den Asylsuchenden als zu gefährlich, stünden sie doch in der Folge ohne jeden Schutz da. Fast 30 von ihnen haben bereits einen ablehnenden Asylbescheid und damit keinen legalen Status in Österreich. Vier bis sechs davon, so die Auskunft von Caritas-Sprecher Klaus Schwertner, wurden nur deshalb »illegal«, weil sie wegen ihres Kampfes in der Kirche Einspruchsfristen versäumt haben.

Die Konfrontation spitzt sich entlang des unterschiedlichen Rechtsverständnisses zu. Während die Flüchtlinge ihre Rechte kollektiv erkämpfen wollen und an eine Gruppenlösung glauben, gibt es vom Bundespräsidenten abwärts nur ein Angebot, nämlich die sogenannte Einzelfallprüfung. Die Zusicherung derselben ist indes angesichts von Festnahmen, wie sie erst kürzlich wieder knapp außerhalb der Kirche stattgefunden haben, unglaubwürdig. »Wir fühlen uns hier wie in einem Gefängnis«, meint ein aus Afghanistan stammender Mann, der seit 60 Tagen auf einer dünnen Matratze im rechten Kirchenschiff lebt. »Wer rausgeht, dem droht die Abschiebung«.

Anlass zur Hoffnung geben die vielfältigen Solidaritätsbekundungen rund um die Votivkirche. Regelmäßige Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern wie zuletzt am vergangenen Sonnabend sind nur eine Form davon. Auch die individuelle Betreuung einzelner Flüchtlinge, die von Kirchgängern oder Aktivisten allen Restriktionen am Kirchentor zum Trotz aufrechterhalten wird, spielt eine wichtige Rolle, um staatlicher Repression zu begegnen. Mehrere hundert helfende Hände - von der gläubigen gutbürgerlichen Hausfrau bis zum radikalen Linken - sind rund um die Votivkirche aktiv und bilden damit einen bislang funktionierenden Schutzschild für die verzweifelten Menschen im Inneren.

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