Dieser Krieg kennt nur Verlierer

Die anfängliche Aufbruchstimmung ist vielen Aktivisten verloren gegangen, vor allem der Jugend

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Freunde in Damaskus treffen sich nicht mehr. Jihad, Lina, Mohammad, Amer, Salim, Julia und viele andere, waren fast zwei Jahre lang - seit April 2011 - alle zwei, drei Monate zusammengekommen, um mit der Autorin über ihre Sicht der Ereignisse in Syrien zu sprechen. Alle waren auf die eine oder andere Art auf Seiten der politischen Opposition aktiv. Anfangs beteiligten sie sich an den friedlichen Protesten, einige organisierten kleine, gewaltfreie Aktionen. Manche wurden festgenommen und bald wieder entlassen, eine junge Frau zog sich danach völlig zurück. Die anderen halfen später den ersten Inlandsvertriebenen aus Homs und Hama, die Jungen organisierten ein Fußballturnier, um die Spannungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen abzubauen.

Einige waren oder wurden Mitglieder der oppositionellen Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP) und engagieren sich inzwischen bei lokalen und regionalen Dialogforen, die der SSNP-Vorsitzende und neue Minister für Nationale Versöhnung, Ali Haidar, landesweit organisiert. Die Erklärung der SSNP, sich an den Wahlen im Mai 2012 zu beteiligen und - als Partei der Opposition - bereit zur Verantwortungsübernahme in der Regierung zu sein, stieß nicht bei allen auf Zustimmung. Manche verließen die Partei und schlossen sich anderen oppositionellen Bündnissen an.

Werden sie die Waffen danach wieder abgeben?

Aktivisten der Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen« gruppieren sich um den langjährigen politischen Gefangenen und Schriftsteller Louay Hussein. In landesweit organisierten Workshops sprechen sie über Mittel und Wege einer zivilen Bürgerrechtsbewegung, um ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft entlang von religiösen oder ethnischen Linien zu verhindern. Bekannte von mir schlossen sich dem Nationalen Koordinationsbüro für demokratischen Wandel in Syrien an, für das vor allem die langjährigen politischen Gefangenen Hassan Abdul Azeem und Abdulaziz Al-Khair stehen. Im Ausland wird das Bündnis von dem Menschenrechtler Haytham Manna vertreten, der heute in Syrien von manchen schon in der Position des Ministerpräsidenten für eine Übergangsregierung gesehen wird.

Einige der jungen Aktivisten wollen über Filme oder Zeitschriften ihre Ideen der Bevölkerung mitteilen, alle lehnten den Griff zur Waffe durch die Aufständischen ab, selbst wenn sie anfangs mit der »Freien Syrischen Armee« sympathisierten. Sie meinten, diese schütze die Protestbewegung. Beim letzten Treffen herrschte bei allen Ratlosigkeit angesichts der Gewalt. »Wer wird seine Waffe freiwillig wieder abgeben, wenn alles vorbei ist?«, fragte einer aus der Gruppe. Eine Antwort erhielt er nicht.

Julia und ihre Freundin wurden mit ihren Familien aus Jobar vertrieben, das vollständig von dogmatischen Islamisten und salafistischen Kämpfern übernommen wurde. Selim lebt mit seiner Familie in Qassa, doch fast alle seine Nachbarn aus dem christlichen Viertel in Damaskus sind geflohen. Jihad verlor sein Zuhause im Flüchtlingslager Yarmuk, als die Palästinenser von bewaffneten Aufständischen überrannt wurden.

Ihr anfänglicher Optimismus ist verflogen, keine Entscheidung liege mehr in ihren Händen, sagen die Freunde. Die Arbeit verloren oder die Prüfungen an der Universität nicht absolviert - alle haben große Mühe, ihren Alltag inmitten des wirtschaftlichen Niedergangs zu organisieren. Wer konnte, verließ Damaskus und zog in die Heimatdörfer, wo die Eltern wohnten. Die Kommunikation untereinander ist schwierig geworden, denn oft sind Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen.

Die Geschichte dieses Freundeskreises aus Damaskus steht exemplarisch für die Geschichte einer modernen, städtisch geprägten syrischen Jugend, die vor zwei Jahren noch große Pläne hatte. Ist das Regime für die Ereignisse verantwortlich? Oder sind es ausschließlich die Aufständischen? Nicht wenige sagen, dass die bewaffnete Opposition sich in ihrem Vorgehen nicht mehr von denjenigen unterscheide, die sie vorgeben zu bekämpfen.

Die Politik ist am Ende, es regiert die Gewalt

Aus dem sich öffnenden und wirtschaftlich aufsteigenden Syrien des Jahres 2010 ist eine Kriegszone mit humanitärer Krise geworden. Es herrscht kein »Bürgerkrieg«, denn es kämpfen nicht »Bürger gegen Bürger«. In Syrien herrscht ein Abnutzungskrieg, der Wirtschaft und Infrastruktur zerstört und das Vertrauen in einen jungen Präsidenten ramponiert, der in den letzten zehn Jahren vergeblich versucht hat, das verkrustete Regime seines Vaters aufzubrechen.

Baschar al-Assad hat Fehler eingeräumt, besteht aber auf einem Dialog mit der Opposition auf syrischem Boden. Einmischung von außen verbittet er sich. Im Interview mit dem deutschen Journalisten Hubert Seipel (»Die Syrien-Falle. Deutschland und der Krieg gegen Assad«; lief am 13. Februar in der ARD) sagte Assad Ende vergangenen Jahres: »Was mich als Präsidenten angeht, sollte die Entscheidung beim syrischen Volk liegen. (….) Das muss durch einen nationalen Dialog geschehen. Und was immer dieser nationale Dialog beschließt, das werden wir als Regierung beschließen. Auch was mich angeht.«

Dass letztlich nur Verhandlungen dem Krieg ein Ende bereiten können, wissen auch diejenigen, die sich bis heute jedem Dialog verweigern. Diese Weigerung macht sie für den Tod vieler Menschen und für die Zerstörung des ganzen Landes mitverantwortlich.

Heute regiert die Gewalt Syrien, nicht die Politik. Das alte Regime scheint stärker als zuvor. Die Armee kämpft mit der Elite ihrer Soldaten gegen Dutzende wenn nicht Hunderte Milizen- und bewaffnete Kleingruppen. Diese Aufständischen, vom Staat als »Terroristen« bezeichnet, können die Armee nicht besiegen. Mit ihren nadelstichartigen Angriffen aber und der Verweigerung des Gesprächs, strapazieren sie die Streitkräfte und provozieren weitere Zerstörungen.

Die Geheimdienste von Militär und Innenministerium agieren jenseits jeder Kontrolle und geben selbst in zivilen Bereichen den Ton an. Die bewaffneten Aufständischen sind zu deren Spiegelbild geworden. Sie spionieren die Bevölkerung aus und bedrohen den, der ihr Vorgehen kritisiert.

Wirtschaftlich wird Syrien zerstört. Öffentliche wie private Infrastruktur liegen in Trümmern, die Verluste gehen in die Milliarden Dollar. Der Ökonom Nabil Sukkar, der ein privates Wirtschaftsforschungsinstitut in Damaskus leitet, hält die wirtschaftlichen Zerstörungen Syriens für eines der zen᠆tralen Ziele des Krieges. Das Land sei wirtschaftlich, politisch und sozial so sehr geschwächt, dass es regional - anders als bisher - keine bedeutende Rolle mehr spielen könne, sagt er.

Alle diplomatischen Türen wurden geschlossen

Die Gesellschaft wird entwurzelt. Von 23 Millionen Einwohnern sind vier Millionen durch die Kämpfe aus ihren Dörfern oder Wohnvierteln ihrer Städte vertrieben worden. Rund 600 000 fristen ein perspektivloses entwürdigendes Dasein als Flüchtlinge in diesem oder jenem Nachbarland. Viele Menschen haben ihre Arbeit und damit ihren Lebensunterhalt verloren. Die Armen sind noch ärmer geworden, viele Reiche sind geflohen.

Es gibt keine »Revolution« in Syrien und keine revolutionäre Bewegung, die mit einem politischen Programm die Menschen für sich gewinnen könnte. Es gibt keine »befreiten Gebiete«, denn niemand hielt Syrien »besetzt«. In den Provinzen Idlib und Aleppo, wo angeblich Basiskomitees eine Selbstverwaltung eingeführt haben sollen, herrschen islamistische Gruppen. Die Idee von »befreiten Gebieten« soll das Agieren ausländischer Geheimdienste und privater Hilfsorganisationen legitimieren, die den Aufständischen den Rücken stärken.

Das Bündnis der »Freunde Syriens« um die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die Golfstaaten hatte frühzeitig alle diplomatischen Türen geschlossen und damit Syrien zum Angriff frei gegeben. Die bewaffneten Aufständischen liefern dafür kostengünstig die Zerstörung eines souveränen Staates. Ginge es um Menschenrechte in Syrien, hätte ein Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren längst das Blutvergießen stoppen können. Doch zu viele profitieren von der Destabilisierung des Landes, Waffenhändler, Geheimdienste, regionale und internationale Konkurrenten schüren den Krieg. Syrien ist das Schlachtfeld eines neuen, schmutzigen Krieges geworden. Es geht nicht um die Rechte der Menschen, es geht um die regionale und internationale Vorherrschaft in der Region.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!