Die Bahn darf weiter Milliarden vergraben

Aufsichtsrat bewilligt mehr Geld für den Weiterbau von Stuttgart 21

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Anstatt die Notbremse zu ziehen, fährt die Bahn weiter in Richtung Stuttgart-21-Desaster: Am Dienstag bewilligte der Aufsichtsrat Mehrkosten von zwei Milliarden Euro.

Mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung hat der Aufsichtsrat der Bahn gestern beschlossen, den Kostenrahmen für Stuttgart 21 von 4,5 auf 6,5 Milliarden Euro zu erweitern. Damit kann der Tiefbahnhof trotz 40-prozentiger Kostensteigerung weitergebaut werden. Wer die Mehrkosten in Höhe von zwei Milliarden Euro tatsächlich bezahlen soll, bleibt allerdings weiter unklar.

Denn die Bahn will die zusätzlichen zwei Milliarden nicht komplett selbst übernehmen, sondern die Projektpartner, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart, mit heran ziehen. Dass die Bahn dies notfalls vor Gericht erzwingen will, hat der Aufsichtsrat nun gebilligt. Land und Stadt lehnen seit Wochen kategorisch ab, mehr als vertraglich vereinbart zu zahlen. Immer wieder erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), dass man sich an die vertraglich zugesagten 930 Millionen Euro halte, mehr Geld gebe es nicht. Gestern warnte Kretschmann die Bahn vor einer Klage. Man könne ein solch großes Projekt nicht vor Gericht bauen, sagte er.

Die Grünen halten den Aufsichtsratsbeschluss für rechtswidrig, weil Stuttgart 21 durch die Mehrkosten unwirtschaftlich wird und die öffentliche Hand keine unwirtschaftlichen Projekte bauen darf. Der baden-württembergische Landesverband reagierte mit Hohn auf den Entscheid. »Der Aufsichtsrat hat etwas beschlossen aber nichts gelöst«, heißt es in einer Presseerklärung. »Das Projekt ist nicht durchfinanziert und niemand will die Mehrkosten übernehmen.« Die baden-württembergische CDU dagegen sieht den Ball nun bei der Landesregierung. »Der Ministerpräsident kann jetzt nicht nur herumschwätzen, sondern muss handeln«, erklärt ihr Landesvorsitzender Thomas Strobl und will, dass sich alle Beteiligten bei »absoluter Transparenz und totaler Offenheit« zusammensetzen. Damit fordert er etwas, was die Bahn seit Jahren verweigert, nämlich die Wirtschaftlichkeitsberechnung offen zu legen. Auch gestern erklärte Bahnchef Rüdiger Grube nur, Weiterbauen sei wirtschaftlicher als Ausstieg. Belegt hat er diese Berechnungen nicht.

Rund sechs Stunden lang hatte der Aufsichtsrat gestern in Berlin beraten, bis er seine Entscheidung bekanntgab. Die Hälfte der 20 Mitglieder (19 waren anwesend) sind Arbeitnehmervertreter, also Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre. Aus ihren Reihen dürfte die eine Gegenstimme gekommen sein, denn der Vorstand der Gewerkschaft der Lokführer, die einen Vertreter entsendet, hatte am Wochenende beschlossen, die höheren Kosten abzulehnen.

Für Werner Sauerborn ist die Entscheidung gerade der meisten Arbeitnehmer eine bittere Pille. Sauerborn ist aktiv im Aktionsbündnis des S21-Widerstands, vertritt dort die GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21. »Das ist ein frontaler Verstoß gegen Arbeitnehmerinteressen«, sagt Sauerborn wütend. »Denn irgendwann wird der Baustopp unvermeidlich. Dann wird die Bahn richtig hohe Verluste haben und ausbaden dürfen das dann die Beschäftigten. Die können sich dann bei Tarifverhandlungen jetzt schon bei ihren Vertretern im Aufsichtsrat bedanken.« So wie Sauerborn rechnet auch der Sprecher der Widerstandsgruppe »Parkschützer« Matthias von Herrmann damit, dass Stuttgart 21 niemals fertig gebaut wird. »Weil ich von unseren Ingenieuren um die technischen Probleme weiß: Schwieriger Untergrund, Probleme mit dem Grund- und Mineralwasser und noch vieles mehr. Das zeigt sich auch daran, wie schleppend die Bahn bislang schon baut. Eigentlich hat sie bis heute nur abgerissen und kaputt gemacht. Nicht mal ihr Technikgebäude bekommt sie fertig.«

Trotz des nach außen getragenen Optimismus im Lager der S21-Gegner ist die Enttäuschung über den Beschluss doch groß. »Ich hatte gehofft, dass die wenigstens die angekündigte Untersuchung des Bundesrechnungshofes zu den Kosten abwartet. Das wäre zumindest ansatzweise seriös gewesen«, sagt von Herrmann, holt tief Luft und ergänzt: »Nun gut, dann wird Stuttgart 21 jetzt eben Wahlkampfthema. Offenbar will die Bundeskanzlerin das.« Die Gegner des Projektes geben also nicht auf. Kommenden Montag wird wieder demonstriert. Die dann 164. Montagsdemo steht unter der Überschrift: »Merkel will, keiner braucht›s, keiner zahlt‹s«.

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