Nahe an der Parodie

»Götterdämmerung« an der Staatsoper im Schillertheater

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein grandioser, ein überwältigender Abend. Es war ein unendlich langweiliger Abend, strotzend von Kitsch.

Fünf Stunden lang flimmerndes, flackerndes, wellendes, gleißendes Bildschirmschoner-Videowabern in Bühnengröße. Das verlangte Kondition der Netzhaut. Im vorderen Bühnenbereich die Geschäftsidee der Gibichungen in echt. Man verdient sich den herrlichen Sitz am Rhein mit einem Lieferservice für medizinische Fakultäten; Anatomiekurs, menschliche Körperteile in Formalin. Der Schauraum mit dezent erleuchteten Vitrinen voller Arme, Beine, Rumpfteile war die Gibichungenhalle. Das verlangte Ekelfestigkeit.

Oder es provozierte die durchaus interessante Frage, welche Ideen-Verbindungen wohl zwischen Richard Wagners »Götterdämmerung« und den Fragmenten des Berliner Pergamonfrieses bestehen. Kampf der Götter und Giganten - Götterdämmerung; es böte sich einiges an. Stattdessen erfährt man aus dem Programmbuch, dass der ganzen »Ring«-Inszenierung von Guy Cassiers die Auseinandersetzung mit Jef Lambeauxs Jugendstilfries »Les passions humaines« (Die menschlichen Leidenschaften) zugrunde liegt. Am Schluss senkt sich das riesige Meißelwerk vor der Bühne nieder.

Sinnvoll wäre es gewesen, wenigstens einen Teil der Präzisionsarbeit an den Videos und der geistigen Anstrengungen für erklärende Essays in die eigentliche Regiearbeit investiert zu haben. Bis auf wenige starke Bilder und genaue Figurenzeichnungen - so die Jagdszene mit den überwältigend singenden Mannen und ihren Plastiksäcken voll blutiger Beute oder Alberichs (Johannes Martin Kränzle) leider ach so kurzer Auftritt oder Gutrunes, verfremdet vibratolos von Marina Poplavskaya gesungene, neurotisch-androgyne Verschlossenheiten - erlebte man schlichteste Auftritte, peinliche Ungeschicklichkeiten. Allein der Dauerkampf der Damen mit den Schleppen ihrer Kostüme oder das U-Bahn-mäßige Rucken der Mannen beim Anfahren der Bühnenaufbauten führten die Aufführung in eine gefährliche Nähe zur Parodie.

Man hätte alles hingenommen, wäre Guy Cassiers trotzdem eine große Gesellschafts-Erzählung gelungen oder eine spannende Geschichte zutiefst verstrickter individueller Götter, Helden und Menschen. Aber wie er sich konzeptionell auf ein Dekorationsstück bezog, so blieben seine Bühnenarrangements über alle vier »Ring«-Abende nichts als Dekoration.

Aufregend und atemberaubend dagegen ist das Orchester, sind die Sänger, ist Daniel Barenboim als Dirigent dieser »Götterdämmerung«. Welch eine weltweise, zuweilen tief verzweifelte, in wenigen Momenten der Seligkeit groß aufatmende Orchestererzählung! Triller und Tremolos als raue Klangfarben, nachtschwarze Tuben, ätherisch gebrochener Klarinettenklang, schattenhaft verwobenen Motivgespinste. Darüber welche herrlich klingenden und durchweg prägnant gefärbten Stimmen!

Ian Storey singt einen dunklen, sehr erwachsenen Siegfried. Er ist ein Mann, der seinem Beruf nachgeht und dabei auf erotische Abwege gerät. Weniges nur strahlt dabei heldisch und souverän glänzend heraus, Barenboim lässt ihm viel Raum zu genauer Nuancierung, zu intensiv erzählten leisen Tönen, zum berührend innigen Lebensabschied. Mikhail Petrenko ist als Hagen eher ein vokales Leichtgewicht, dabei aber viril und gefährlich. Die stimmliche Präsenz Gerd Grochowskis überraschte immer wieder, wenn er als hilflos auf der Bühne herumstehender Gunter den Mund auftat. Die wohllautenden Damenterzette der Nornen und Rheintöchter woben und wogten betörend und mitten hineinbebettet in den Orchesterklang. Noch dichter, semantisch genau war die Stimme Marina Prudenskayas mit dem Orchester bei Waltrautes Erzählung verflochten.

Iréne Theorin als ein Ereignis von Brünnhilde: Sinnenfreude, Wärme, sanfte Lust in der weichen und prachtvollen Stimme beim Zusammensein mit Siegfried, mühelose Beherrschung großer Bögen und Aufwallungen in Zorn und Empörung, kein einziger Ton klang forciert oder nur bemüht. Am Ende ein Abschiedsgesang, wie er kontrastreicher und spannungsgeladener kaum sein kann. An der Rampe ins Publikum gesungen, das Beste, was geschehen konnte.

Nächste Aufführung: 10.3.

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