Von Mexiko nach Sibirien

Sergio Pitol: Ein Band voller literarischer Perlen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 2 Min.

Neben Carlos Fuentes gilt Sergio Pitol als einer der wichtigsten mexikanischen Schrift-steller im 20. Jahrhundert. Während die Romane des im vergangenen Mai verstorbenen Fuentes in ihrer Mehrzahl ins Deutsche übersetzt wurden und lieferbar sind, wurden Sergio Pitols Bücher erst im Lauf der letzten Jahre hierzulande vom Wagenbach Verlag herausgegeben. Zum 80. Geburtstag Pitols erscheint nun der Erzählband »Drosseln begraben«. Der vom Autor selbst zusammengestellte Band bietet einen guten Einstieg in sein Werk und außerdem einen panoramaartigen Überblick über sein Schaffen.

Die kurzen und dichten Prosastücke kreisen immer wieder um Personen, die versuchen, sich in schwieriger, nicht selten feindlicher Umwelt zurechtzufinden. Das ist ebenso das ländliche Mexiko, in dem revolutionäre Umbrüche stattfinden, wie auch die transsibirische Eisenbahn, in der ein mexikanischer Handelsvertreter glaubt, den Verstand zu verlieren, weil ihm der japanische Mitreisende und das verschneite Sibirien Angst einflößen. In einer anderen Geschichte geht es um einen Mann, der als Kind regelmäßig von einem Panther träumte und Jahrzehnte später mit diesem Traum wieder konfrontiert wird. Ein Band voller literarischer Perlen: Pitols Werk ist ähnlich verschlungen und philosophisch wie das von Jorge Luis Borges, nur verzichtet der Mexikaner auf jeglichen magischen Realismus, wie er sonst häufig in der lateinamerikanischen Literatur seiner Generation zu finden ist. Oft geht es auch um das Schreiben selbst, wenn Pitol mexikanische Exilanten in Europa schildert, die in einem Café sitzend sich an ihre Kindheit und Jugend erinnern und daraus Romane und Erzählungen konstruieren. Daraus entstehen ebenso komplexe Psychogramme der Figuren wie auch kunstvoll detaillierte Schilderungen des mexikanischen Alltags.

Im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Autoren macht Pitol seine Heimat Mexiko nur am Rande zum Schauplatz seiner Literatur. Immer wieder spielen seine Erzählungen und Romane auch in Rom, Warschau, Istanbul oder auf einer Insel im Mittelmeer. Insofern nahm Pitol, dessen literarische Texte vor allem von den 60ern bis in die 80er Jahre entstanden, einen erst später einsetzenden Trend vorweg. In den letzten zwanzig Jahren widmete sich Sergio Pitol vor allem der Essayistik und der Reiseliteratur. Von diesen Texten wurde lediglich einer ins Deutsche übersetzt. »Die Reise«, ein Buch über Russland und seine Literatur, ist leider nur noch antiquarisch erhältlich.

Sergio Pitol, der Rechtswissenschaften studiert hatte, war auch jahrelang für seine Heimat Mexiko Kulturattaché, unter anderem in Moskau, Warschau, Budapest, Prag und Paris. Neben seiner literarischen Tätigkeit übersetzte er Tschechow, Gogol, Austen, Joseph Conrad und Henry James ins Spanische. 2005 wurde ihm der Cervantes-Preis verliehen, die wichtigste literarische Auszeichnung in der spanischsprachigen Welt.

Sergio Pitol: Drosseln begraben. Erzählungen. Klaus Wagenbach. 160 S., geb., 19.90 €.

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