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Verführerische Prosa
Dieter Forte: Liebeserklärung ans Schreiben, ans Lesen
Fünf Seiten gehören in der Mitte des Bandes Daniello Bartoli, einem Mönch, der in einer winzigen italienischen Klosterzelle, umgeben von Folianten, die bis unter die Decke gestapelt waren, den lieben langen Tag und auch noch die Nächte damit zubrachte, die Zahl der Bücher zu mehren. Er schrieb und schrieb, überzeugt von der Allmacht der Geschichten und weil er glaubte, mit Büchern könnte man die Welt regieren.
Die Hoffnung ließ ihn nicht mehr los, er lebte nur noch in seinen Geschichten, er vergaß, dass es jenseits seiner Klause noch die Welt gab, und so lebte er, immer neues Papier auf seinen Knien, bis an sein Ende. Wie es ausging mit ihm, ob er von Büchern erschlagen oder ermordet wurde, ob er vielleicht einfach nur spurlos verschwand, ist nirgendwo verlässlich vermerkt. Aber das ist ja kein Ende, rufen am Schluss die Leserinnen und Leser. »Ja, so ist es«, meint der Autor. »Gute Geschichten haben kein Ende. Ihr Ende ist immer nur der Anfang einer neuen Geschichte.«
Nach langer Zeit wieder ein Band von Dieter Forte: »Das Labyrinth der Welt«, kein Roman, sagt der Verlag, kein Sachbuch, auch kein Essay, sondern nach dem Willen des Autors »Ein Buch«. So, ungewöhnlich genug, der Untertitel. Marotte, Ulk oder Verlegenheitslösung? Nichts von alledem. Forte, 77 Jahre alt und einer der besten Erzähler, der als Dramatiker begann, Hör- und Fernsehspiele schrieb und dann, genauso erfolgreich und unverwechselbar, zum Roman wechselte, schenkt uns diesmal eine Prosa, die nichts Vergleichbares hat, eine Liebeserklärung ans Buch, ans Schreiben und Lesen, an die Überlieferung, an Bilder und Geschichten, ohne die wir sehr, sehr arm wären, blasse, taumelnde Existenzen ohne Vorstellung von Welt, Geschichte, Ländern, Bräuchen und Sitten, abgeschnitten von den Erfahrungen der Vorfahren. Was wir wissen, verdanken wir jenen, die es einst festgehalten haben, in Worten und Bildern.
Forte sagt es auf poetische (und fantastische) Weise. Er erzählt Geschichten, Märchen und Allegorien, führt in alte Zeiten, als der Mönch die Folianten in seiner Zelle mehrte, Kupferstecher und Maler wiedergaben, was sie umgab, was sie glaubten und was ihnen zugetragen worden war, und als die Drucker das Wissen, woher es auch kam und wer immer es aufs Papier gebracht hatte, vervielfältigten und weiterreichten an Mit- und Nachwelt.
Der Leser taucht in eine locker gefügte Sammlung bunter, zauberhafter, wundersamer, manchmal verwirrender Erzählungen, die man im Kopf weiterschreiben muss, allesamt kleine Sprachkunstwerke, schön, leuchtend, auch geheimnisvoll. Von Comenius ist die Rede und der Suche nach Wahrheit, die nicht zur Wahrheit, sondern zu immer neuen Geschichten führt, in ein Labyrinth ohne Ausweg. Oder von einem Künstler, der den Auftrag erhielt, ein Hochzeitsbild zu malen. Er machte sich an die Arbeit, aber was immer er malte, es gefiel nicht. Erst waren es nur die Porträtierten, die unzufrieden waren, später sollte es kein Hochzeits-, sondern ein Trauerbild sein, und immer, wenn er fast fertig war, wurde der Auftrag geändert, und er fing von vorn an.
Er malte, was er sah, aber was er sah, fand keine Zustimmung, und so verteilte er schließlich ganze Tuben mit Bleiweiß auf dem Bild, bis es eine weiße Leinwand war wie am Beginn. Das weiße Bild kam in eine Bibliothek, wo es bestaunt wurde und die Besucher erhielten Gelegenheit, die Geschichten, die ihnen beim Betrachten einfielen, in ein Buch zu schreiben. »Die Geschichten«, schließt Forte, »waren in den Köpfen der Menschen und wurden weitererzählt«.
Manchmal, ganz im Hintergrund dieses Buches über Kunst, Welt und Zeit, ist schemenhaft die Stadt erkennbar, in der Dieter Forte lebt und die ihn seit Jahrzehnten inspiriert: Basel, der Ort gleich an der Grenze zu Deutschland und Frankreich mit seinen Museen, Bibliotheken und Theatern, der »mehr als jede andere Stadt der Kultur verpflichtet ist«, offen der vergangenen und gegenwärtigen Kunst, wie Forte 1992 sagte, als er den Basler Literaturpreis in Empfang nahm. Er ist einer der prominenten Bewohner der Stadt, ein Autor, der sich, ganz zurückgezogen, den lauten Literaturbetrieb vom Hals hält und den man, wie jetzt, nur in seiner verführerischen Prosa finden kann.
Dieter Forte: Das Labyrinth der Welt. S. Fischer Verlag, 263 S., geb., 19,99 €.
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