Sein Talent: SPIELEN

Klaus Maria Brandauer in seinem fünfzigsten Bühnenjahr

  • Kerstin Yvonne Lange
  • Lesedauer: 6 Min.

Es fällt nicht leicht, den Lobzeilen vergangener Jahrzehnte neue Worte hinzuzufügen. Die zahlreichen Ehrungen für seine über 50-jährige Bühnen- und Filmarbeit spiegeln den beeindruckenden Nachklang seiner verkörperten Rollen wider. Es gelingt aber, Worte zu finden für die Ergriffenheit der Menschen, die den Zuschauerraum nach seinen Aufführungen nur langsam verlassen, den Kopf zur Bühne gewandt, als wenn er dort noch stehen würde. Klaus Maria Brandauer, der Zauberer der Bühnenkünste, der in den Menschen hervorholt, was im Alltag kaum mehr einen Raum finden mag: tiefes Berührtsein. Und das ist für ihn besser als jeder Applaus, »wenn sich die Menschen im Theater in einem Gedanken versammeln und vereinigen, wenn sie dabei sind. Das ist, als wenn die Zeit stehen bleibt, dann geschieht ein Wunder.«

Es ist die intensive Erlebnisfähigkeit in seinen Rollen, mit der Klaus Maria Brandauer die Menschen befähigt, eigene innere Bilder zu entwickeln - ein kreativer Genuss, der zu konstruktiven Auseinandersetzungen befähigt. »Wenn ich ein Talent habe, dann ist es das Spielen. Dieser Faszination jagen wir Schauspieler nach, wir reißen uns auf, um die Zuschauer zufriedenzustellen, denn wenn man sich meint in der Arbeit, meint man auch den anderen und kommt ganz schnell vom ICH zum DU und zum WIR.« So hält die Zeit still, wenn er seine Rollen spielt, frei von Egoismus dient er seinen Bühnenfiguren, stellt ihnen seinen Körper, seine Stimme und seine Begabung zur Verfügung. Er gibt ihnen eine Seele.

Wie dicht liegen Demut und Eitelkeit beieinander. Er möchte, dass die Zeit stehen bleibt in seinem Spiel und in den dichtesten Momenten gelingt es ihm auch, es sind die Momente der Stille, der Stille, die zu sprechen vermag. In seinem Film: »Georg Elser - Einer aus Deutschland« (1989) wölbt sich die Zeit in 90 Minuten wie eine Kuppel nur um den einen Satz: »Einer muss es ja machen.«

Alle seine Bühnen- und Filmwerke öffnen sich so in wahrhaftigen Berührungen und werden damit seinem Wunsch aus Jugendzeiten, die Welt mit seiner Kunst verbessern zu wollen, am ehesten gerecht. Denn die Welt verbessert man nicht im Außen, die Welt gesundet in wirklichen menschlichen Begegnungen, in denen man ein Verständnis für das Sein des anderen erringt und im Mitgefühl die fremde Seele versteht.

Mit der Fähigkeit, in andere Charaktere hineinzuspüren bis hin zum Verschmelzen, »so dass man glaubt, derjenige zu sein, den man spielt«, erreicht Klaus Maria Brandauer inneres Glück und eine überaus große Meisterschaft, die jüngst in Moskau mit dem Stanislawski Preis bedacht wurde. Da trafen mit Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, dessen Geburtstag zum 150. Male geehrt wurde, und dem 80 Jahre jüngeren Preisträger Klaus Maria Brandauer zwei Theaterjubilare auf einer zeitlosen Bühne zusammen in der geistigen Übereinstimmung, dass ausnahmslos alles, was der Schauspieler besitzt an menschlichen Gefühlen, Seelenanteilen und Handwerk dem fremden Leben der Rollengestalt zur Verfügung gestellt werden muss. Dafür erstürmten die Zuschauer in Moskau vor 115 Jahren die Bühne, um die Schauspieler zu küssen. Bei Klaus Maria Brandauer applaudieren die Menschen herzensbewegt, lang anhaltend, stehen auf, wenn er den unsichtbaren Staffelstab und mit dem Preis auch die revolutionierende Schauspielkunst des 1897 von Stanislawski gegründeten »Moskauer Künstlertheaters« zu ihnen trägt, zu seinem Publikum; als ordentlicher Professor des Max- Reinhardt-Seminars auch zu seinen Schülern. Und auch in seine erst in jüngerer Zeit eroberte Spiel- und Wirkungsstätte hinein, das Schloss Neuhardenberg.

Ein würdiger Ort für Klaus Maria Brandauer, um den Bogen zu ziehen von Georg Elser, dem in Vergessenheit geratenen Hitler-Attentäter, zum Grafen Carl-Hans von Hardenberg, dem um Stauffenberg eine weltweite Anerkennung für ein ebenfalls misslungenes Attentat zuteil wurde. Hier, in Neuhardenberg, erinnerte Brandauer sich an seinen Schauspielvater, den Regisseur Fritz Kortner, der seinen Werdegang maßgeblich beeinflusste. »Was er auch gesagt hat, es stimmte immer für mich. Bei ihm hatte ich plötzlich Zeit, die Dinge zu überlegen, Subgedanken klar werden zu lassen, zu probieren, Impulsen zu folgen - ›die Hand, was haben Sie da eben mit der Hand gemacht?‹ - irgendwann hat man sich Raum genommen und den Text auf der ganzen Bühne gesprochen.« Hier gibt nun Klaus Maria Brandauer dem Erinnern mit Samuel Becketts »Das letzte Band« in der Regie von Peter Stein einen neuen Raum. Am 15. März wird er mit sechs Aufführungen erneut den künstlerischen Reigen in Neuhardenberg eröffnen.

Kein Ort könnte für Becketts Niemandsland geeigneter sein, als der unter dem Sternenhimmel der Schinkelkirche, unter dem Becketts Figur Krapp auf ihren Tonbändern nach Erinnerungen gräbt: »Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt ...«. Kein Ort auch wäre vertrauensvoller für Klaus Maria Brandauer, um sich eigener Erinnerungen an sein früheres Ich gewahr zu werden: »Da saß in einer Fernsehaufzeichnung ein junger blonder Mann mit vollem Haar, der redete so überheblich daher mit einer Stimme, die mir fremd war, der wollte auffallen, der wollte angeben, da dachte ich: Was ist denn das für einer? Das hat Peter Stein auch gedacht. Unsere Zusammenarbeit begann daher später, als mein Haar lichter und meine Stimme einfühlsamer wurde.« In der historisch vollgesogenen Oderlandschaft kann man nun Zeuge dieser späten Zusammenarbeit werden. Aber nicht nur als Becketts Krapp wird Brandauer in diesem Jahr in Neuhardenberg spielen. Am Ostermontag gibt er zudem dem eigensinnigen Richard Wagner seine Sympathie in dessen »Pilgerfahrt zu Beethoven«.

Klaus Maria Brandauer spielt die Menschen nicht nur, er verteidigt sie auch mit fast übernatürlicher Intensität. Er liebt es, die Außenseiter des Lebens darzustellen. So spielt er in Antonin Svobodas jüngstem Film »Der Fall Wilhelm Reich« den titelgebenden Psychiater und Grenzforscher. Es stehen die letzten Lebensjahre des Freud-Schülers Reich im Mittelpunkt, in denen er die Lebensenergie »Orgon« erforscht und deshalb in den USA vor Gericht steht. Brandauer setzt sich in seinen Rollen immer für Menschen ein, die in der Minderheit sind, unangepasst und kantig oder ihrer Zeit voraus. So erfährt Wilhelm Reich durch ihn eine Wertschätzung, weil er zwei Mal verlieren wird, bei den Nazis und in den USA.

»Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir uns vorstellen können und wir sollten uns gestatten, dieses unbekannte Land in uns selbst betreten zu dürfen«, bekennt sich Klaus Maria Brandauer zu seiner Figur und zu seiner Arbeit als Schauspieler. So stellt er dann dem Publikum einen verblüffend authentisch dargestellten Menschen vor, der mit klischeehafter Verwandlung nichts mehr zu tun hat. Und wenn das geschieht, dann ist Entwicklung möglich bei seiner Figur, bei ihm selbst und bei den Zuschauern. Dann verhilft er den noch unerforschten Seelenanteilen zur sichtbaren Erkenntnis und schon das genügt, um seinem Anspruch als Weltverbesserer gerecht zu werden.

Klaus Maria Brandauer in Neuhardenberg: vom 15. bis 24.3. in Samuel Becketts »Das letzte Band« und am 1.4. in einer szenischen Lesung von Richard Wagners »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven«

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