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Raus aus Grotten und Wagenburgen
Chefredakteur des »nd« zu Gast in der Linksfraktion
Politik und Journalismus begegneten sich gestern in der LINKE-Landtagsfraktion auf nicht alltägliche Weise. Tom Strohschneider, Chefredakteur des »nd«, war Gast der Abgeordneten, und das, obwohl es sich schon lange nicht mehr um eine Parteizeitung handelt, wie er eingangs sagte. Nichtsdestotrotz nehme die Redaktion den Untertitel »Sozialistische Tageszeitung« sehr ernst, unterstrich Strohschneider. Und sprach von einem spannungs- und konfliktreichen Verhältnis zur Partei Die LINKE, zu der eine natürliche Nähe bewahrt werde. »Wenn andere Zeitungen von sich behaupten, sie seien unabhängig und parteipolitisch völlig ungebunden: Wir sagen das gar nicht erst.«
Das moderne »nd« leiste sich inhaltliche Konflikte, auch die innerhalb der LINKEN, und betrachte »Widersprüche nicht als Makel«, teilte der Gast mit. Er empfahl, im Sinne einer lebendigen Debatte »Kontrollverlust zuzulassen« und mit Blick auf die Regierungsverantwortung der Sozialisten in Brandenburg, sich nicht in eine Wagenburg zurückzuziehen. »Der Landesverband ist nicht dazu da, die Fraktion zu verteidigen, die Fraktion nicht dazu, die Minister zu verteidigen.«
»Wenn man zerstritten erscheint, wirkt man unattraktiver«, gab Landesvorsitzender Stefan Ludwig zu bedenken. Und: »Wir lesen das ›nd‹ sehr kritisch, weil es uns so nahe ist«. Als einmal die Überschrift »Ludwig will in den Bundestag« erschienen sei, habe ihm das ein heißlaufendes Telefon beschert, an dem er zu erklären hatte, dass nicht er, sondern die CDU-Politikerin Saskia Ludwig gemeint sei. Wer da anrief, konnte allerdings nur die Überschrift gelesen haben, weil im ersten Satz der Meldung stand, dass es sich um die CDU handelte, und im zweiten Satz, dass Saskia Ludwig in den Bundestag wolle.
Strohschneider bat um kritische Hinweise und um »größtmögliche Offenheit«. Sofern es Unzufriedenheit mit dem Blatt gebe, »wird sie uns selten mitgeteilt«. Die Abgeordnete Gerrit Große verhehlte nicht, dass sie die Brandenburg-Seite »grottenschlecht« finde. Und sie sprach von ihrer Befürchtung, dass das »nd« politisch so »umsteigt«, wie die Wochenzeitung »Freitag« es bedauerlicherweise vorgemacht habe.
Bei der Bewertung »grottenschlecht« habe er Nachfragen, entgegnete Strohschneider. »Wir werden nicht jeden Wunsch erfüllen können.« Die Zeitung müsse für sehr viele mit unterschiedlichen Ansprüchen da sein. Sein Ziel sei es, die Tageszeitung origineller, zugespitzter und überraschender zu präsentieren mit dem Ziel, dem Leser beim Bilden einer eigenen Meinung zu unterstützen. Ihm schwebe vor, künftig auch mehr die Leserin oder den Leser zu Wort kommen lassen, wofür sich das Internet anbiete. Die »Einkanal-Logik« funktioniere immer weniger. »Leser wollen mitmachen.«
Wenn das »nd« angriffslustiger werden solle, heiße das nicht »mit Macht aufs Krawall gebürstet«. Ein Boulevardton eigne sich nur begrenzt zur Darstellung komplexer Sachverhalte. Vieles bleibe aber auch eine Frage der Verpackung.
Strohschneider informierte, dass zumindest Teile Brandenburgs für das »nd« zum »wichtigen Teilmarkt« Hauptstadtregion gehören, dass er persönlich aber den Begriff »Speckgürtel« nicht so sehr möge. Zu einem großen Teil setze sich die Leserschaft aus jenen zusammen, die dem »nd« schon seit Jahrzehnten die Treue halten. Als Chefredakteur habe er den Umstand zu beachten, dass das Blatt weniger von denjenigen gelesen werde, für deren Interessen sich die LINKE besonders einsetze, die Empfänger von Hartz IV beispielsweise. Abschließend zeigte sich Strohschneider von der Art des Empfangs in der Linksfraktion erstaunt. »Ich war auf mehr Kritik gefasst.«
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