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Die Jogginghosenwelt der Überlebenden
David Wagner hat mit »Leben« ein Buch über die Flüchtigkeit des Daseins und die Allgegenwart des Todes geschrieben
Es beginnt mit Blut. Blut, das der Erzähler in die Badewanne erbricht, das aus ihm herausschwappt. »Eine Szene wie in einem Splatterfilm«, heißt es, »nur dass hier leider kein Kunstblut spritzt«.
Schließlich findet sich der seit seiner Kindheit schwer leberkranke Mann im Krankenhaus wieder, wo er uns nach seiner Nahtoderfahrung an seinem Alltag und seinen Gedanken teilhaben lässt. Wir lernen seine Krankheit kennen, die chronisch-aggressive Autoimmunhepatitis, seine wechselnden Bettnachbarn, die trostlose Jogginghosenwelt der Mitpatienten, betrachten mit ihm sein Dasein als Studienobjekt für Medizinstudenten. »Besucher bringen Blumen mit, bald sieht es aus wie in einem Blumenladen. Oder wie auf einer Beerdigung.« Der Tod ist allgegenwärtig in dem Buch, dessen Titel »Leben« lautet und in dem mit einer Mischung aus Melancholie und Plauderton wiederkehrend von der Hinfälligkeit des menschlichen Körpers und der Vergänglichkeit des Daseins erzählt wird.
»Das Ich meines Buches bin nicht ich«, sagte der Schriftsteller David Wagner vor Kurzem der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Und das stimmt natürlich, wie jeder weiß, der schon mal davon gehört hat, dass gute Literatur mit der Fiktionalisierung der Realität etwas von der Realität erzählt, das diese selbst uns nicht ohne weiteres preisgibt. Doch gibt es erstaunliche Parallelen zwischen Autor und Erzähler: Beide müssen sich einem langen Krankenhausaufenthalt unterziehen, beide müssen eine Lebertransplantation über sich ergehen lassen, beide überleben, und beide berichten davon.
Möglicherweise wurde deshalb auf die Gattungsbezeichnung »Roman« auf dem Buchumschlag verzichtet. »Das Krankenhaus ist ein Geschichtenhaus, immer wieder neue Geschichten, jeder Patient bringt eine mit.«
Gegliedert ist das Geschehen in zwei Hälften: In der ersten folgen wir dem Protagonisten in seinen Alltag als schwerkranker Patient, warten gemeinsam mit ihm auf den Tod oder die Rettung. »Jeder Tag ist ein Tag näher dran am Tod. Doch jeden Tag, das ist die Ironie, steigt auch die Chance zu überleben - nur muss ein anderer vorher sterben.« In der zweiten Hälfte begleiten wir den Organempfänger nach geglückter Transplantation in sein Leben als »neuer Mensch, ergänzt und verbessert«, als »Replikant«, dem durchsichtige Plastikschläuche aus dem Bauch hängen.
Eine Folge sowohl der Lebererkrankung als auch der dagegen verordneten Medikamente ist eine Benommenheit, die den Erzähler in eine Art fortwährenden Wachtraumzustand versetzt, der wiederum die Form des Erzählten bestimmt: Berichtet wird in Episoden, Prosabausteinen, die aneinandergefügt werden und in denen sich Erlebtes, Beobachtetes, Phantasiertes, Tagträumereien und Gedachtes beständig mischen. So lesen wir Reflexionen über die Flüchtigkeit des Lebens und die Unberechenbarkeit des Todes: Warum habe ich überlebt? Wie viel von mir macht mein Körper aus? Wozu bin ich auf der Welt? Wer war der Mensch, mit dessen Körperteil ich nun lebe? Wie starb er? Menschen sterben, immer, täglich, stündlich. Nicht weit entfernt von der Stelle, wo die Krankenwagen halten, parken auch die Leichenwagen. »Selbst zu Friedenszeiten ist Leben im Rückblick bloß Überleben.« Und wir lesen Erinnerungen des Kranken an seine Kindheit, an die Wohnungen, in denen er gelebt hat, an Reisen, die er als Heranwachsender unternommen hat , an Bekannte, die sich das Leben genommen haben, an das Sterben der Mutter. »Alles war genau so / und auch ganz anders«, lauten die Worte, die der Erzählung vorangestellt sind.
David Wagner: Leben. Rowohlt, 287 S., geb., 19,95 €.
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