Die Einheit und Reinheit der Partei

Von den Schwierigkeiten einer Rehabilitierung

  • Wilfriede Otto
  • Lesedauer: 4 Min.

Als auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989 die denkwürdigen Worte fielen, »Hier muß man alles aufklären«, bezogen sie sich auch auf die sogenannte Fraktion Zaisser/Herrnstadt. Der Ausschluss der beiden hochrangigen Funktionäre aus der SED auf einem ZK-Plenum im Januar 1954 war nach erfundenen, von der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) und dem Politbüro zusammengetragenen Behauptungen erfolgt. In Wirklichkeit haben Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser zu keiner Zeit die Rolle der SED als Staatspartei in Frage gestellt, jedoch, eine kollektive, nichtadministrative und demokratische Führung eingefordert. Sie verstanden sich nicht als innerparteiliche Opposition, sondern wollten Veränderungen und den Aufbruch stalinistischer Dogmen. Das gegen sie vom 15. Plenum im Juli 1953 ausgesprochene Verdikt wurde zum Standardzitat zur Unterdrückung aller innerparteilichen Kritiker: »Im Politbüro des ZK machte sich bei einigen Genossen ein Zurückweichen vor der feindlichen Propaganda bemerkbar, die das Hauptfeuer gegen den Kern der Parteiführung richtete. Diese Genossen traten als parteifeindliche Fraktion mit einer defätistischen, gegen die Einheit der Partei gerichteten Linie auf und vertraten eine die Partei verleumdende, auf die Spaltung der Parteiführung gerichtete Plattform (Genossen Zaisser und Herrnstadt)«.

Dem Geheimdienstchef Zaisser warf man vor, an allen Gesprächen zwecks »innerparteilichen Putsches« und »Eroberung der Parteiführung« teilgenommen und 1952 eine »vollkommen abwegige politische Linie in der Frage der Einheit Deutschlands« vertreten zu haben. Zudem habe er das MfS von der Parteiführung isoliert. Seine »Auffassungen sowohl über die Rolle der Staatssicherheit als auch die Liquidierung der DDR entsprachen den verbrecherischen Absichten des Verräters Berija«.

Ersuchen der Betroffenen seit dem IV. Parteitag 1954, eine Überprüfung ihrer Verfahren zu erreichen, blieben erfolglos. Auch der »Werte Genosse Semjonow« antwortete nicht auf einen Brief Herrnstadts vom 28. November 1962. Die Ehefrauen Valentina und Elisabeth schrieben bis über den Tod ihrer Ehemänner hinaus an die jeweiligen SED-Parteitage wie auch an Walter Ulbricht, Erich Honecker und andere Funktionäre. Vergebens. Man scheute die Konsequenzen, die »eine Aufrollung der gesamten Angelegenheit von Zaisser-Herrnstadt und anderen« mit sich bringen würde.

Ein offener Umgang mit Geschichte hätte bedeutet: Erstens, auf die bipolare, irritierende sowjetische Deutschlandpolitik einzugehen, die noch im April 1952 freie gesamtdeutsche Wahlen unter Kontrolle der Besatzungsmächte vorgeschlagen hatte und im Frühjahr 1953 an einer neuen Noteninitiative arbeitete. Während des internen Machtkampfes in Moskau nach Stalins Tod am 5. März 1953 entsann man sich dort der Krise in der DDR sowie der Unzufriedenheit unter »den breiten Massen der Bevölkerung«. Der Ministerrat der UdSSR verfügte am 2. Juni umfassende »Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage«, mit denen der 1952 eingeschlagene »fehlerhafte Kurs« nun »rasch und kräftig« zu korrigieren» sei. Anonymisiert kamen sie als «Neuen Kurs» mit dem Kommuniqué des Politbüros vom 9. Juni auf den Weg. Auch Zaisser und Herrnstadt waren da noch optimistisch.«

Zweitens hätte der 17. Juni 1953 - die angebliche faschistische Provokation - , der vor allem eine Arbeitererhebung war, an der sich auch SED-Mitglieder beteiligt hatten, sowie die diskreditierte Ulbricht-Führung neu analysiert werden müssen. Ein offener Umgang hätte - drittens - interne Führungsvorgänge thematisieren müssen. So etwa, dass die von Herrnstadt vorgelegten Entschließungsentwürfe für das nächste ZK-Plenum im Auftrag des Politbüros erarbeitet wurden und sich an sowjetischen »Maßnahmen« orientierten. Sein Konzept der »Erneuerung der Partei« wollte gravierende Schwächen wie den Verlust der Verbindung mit den breiten Massen, das Administrieren in der täglichen Praxis, die mangelnde Kollektivität bei der Lösung aller wichtigen Fragen, Personenkult etc. abstellen.

Viertens schuf das Ende des Machtkampfes in Moskau und die Verhaftung Berijas am 26. Juni 1953 auch in der DDR eine neue Situation. Sie lieferte den Freibrief, um das 15. Plenum, auf dem eigentlich alle »grundsätzlichen Fragen« diskutiert werden sollten, nun dem »Fall Zaisser/Herrnstadt« zu widmen. Damit war die alte Führungsriege gerettet.

Am 30. November 1989 überraschte das (Noch-)Zentralorgan der SED die Leser mit der Nachricht, eine neue ZPKK habe Robert Havemann, Rudolf Herrnstadt und Lex Ende, »die in den 50er Jahren wegen falscher Beschuldigungen und angeblich fraktioneller Tätigkeit aus der Partei ausgeschlossen wurden«, rehabilitiert. Die Bundesschiedskommission der PDS brach endlich den Schlüsselkonflikt auf. In Kenntnis der Zeit und Personen, in denen widersprüchliche Traditionslinien, »linkes Engagement, Mut, Hingabe an nicht verwirklichte Ideen und Verantwortung für initiale Fehlentwicklungen diametral gegenüber standen«, beschloss sie zudem am 25. April 1993, »den Ausschluss Zaissers aus der SED aufzuheben, ohne eine Wertung seines Wirkens in staatlichen Funktionen vorzunehmen. Der Vorwurf …, Zaisser habe die Einheit, Reinheit und Geschlossenheit der Partei durch parteifeindliche fraktionelle Tätigkeit bedroht, war nicht nur absurd, sondern in höchstem Maße unbegründet.« Diese Entscheidung justierte auch die Rolle Herrnstadts im Juni 1953 neu.

Von Dr. Helmut Müller-Enbergs, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen, erschien 1991 im Ch. Links Verlag »Der Fall Rudolf Herrnstadt. Tauwetterpolitik vor dem 17. Juni«.
Dr. Wilfriede Otto war Mitglied der Rehabilitierungsgruppe der PDS; zur Zeit arbeitet sie mit Müller-Enbergs an einer Zaisser-Biografie.

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