Vom Ausfransen des Journalismus
Der Journalismusforscher Thomas Schnedler über das journalistische Prekariat, Sparmodelle von Verlagen und die Zukunft der Branche
Sie promovieren an der Uni Hamburg zum Thema journalistisches Prekariat. Wie groß ist dieses Prekariat, und wie sieht es aus?
Diese Promotion steht noch am Anfang. Belastbare Aussagen darüber, wie groß das Prekariat ist, wen es umfasst und welche Trends es gibt, kann man zuverlässig erst dann machen, wenn die empirischen Daten vorliegen, und das wird noch eine Weile dauern. Ich kann trotzdem sagen, dass es ein relevantes Problem ist. Dafür gibt es genug Belege, sowohl aus Studien als auch aus den Erfahrungen, die viele Journalistinnen und Journalisten gemacht haben.
Warum haben Sie dieses Thema gewählt? Und wie ist da der Wissensstand?
Der Antrieb für die Beschäftigung mit der Prekarisierung im Journalismus sollte sein, Ursachenforschung zu betreiben. Es gibt ja eine ganze Reihe von Fehlentwicklungen im Journalismus: Rechercheabstinenz, einen wachsenden Einfluss von PR, eine Art gehetzten Journalismus wegen Zeitdrucks. Die spannende Frage ist: Wie viele von diesen Phänomenen haben mit den Arbeitsbedingungen zu tun? Jemand, der am Journalismus interessiert ist, ist auch interessiert daran, solche Fehlentwicklungen und die Gründe zu beschreiben. Da könnten dann Berufsverbände ansetzen.
Der Diplom-Journalist ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus der Universität Hamburg.
Was heißt Rechercheabstinenz?
Rechercheabstinenz heißt, dass der Stellenwert der Recherche oft nicht so groß ist, wie er eigentlich sein müsste. Es gibt Studien, die belegen, dass Journalisten weniger Zeit für die Recherche zur Verfügung haben als früher; und dass sie selbst das auch beklagen, wie auch einen wachsenden Einfluss von PR-Verantwortlichen auf ihre Arbeit. Das sind Fehlentwicklungen, die für die Unabhängigkeit der Berichterstattung, für Quellenvielfalt und Quellentransparenz nicht gut sind.
Sie zitieren eine repräsentative Studie, die die Jahre 1993 und 2005 vergleicht und besagt, dass die Zahl der fest angestellten hauptberuflichen Journalisten ungefähr gleich geblieben ist, die der freien aber um ein Drittel abgenommen hat. Wie ist das zu verstehen?
Das ist so zu interpretieren, dass wohl die Zahl derjenigen Freien geschrumpft ist, die noch vom Journalismus leben können. Die Studienverantwortlichen definieren, was ein hauptberuflicher Journalist ist, und die Zahl der Freien sinkt, die man als Hauptberufliche benennen kann. Die Zahl der Nebenberuflichen steht auf einem ganz anderen Blatt. Wahrscheinlich gibt es eine expandierende Zahl von Nebenberuflichen, die die meiste Arbeitszeit oder das meiste Geld mit ganz anderen Sachen verbringen, beziehungsweise verdienen. Das wird oft „Ausfransen an den Rändern“ genannt.
Ein besonderes Problem stellt Ihnen zufolge der Online-Journalismus dar. Welche besonderen Probleme gibt es da?
Es gibt Studien, die belegen, dass Online-Journalisten ein geringeres Einkommen haben als die Kollegen in anderen Ressorts. Es heißt, dass auch die Arbeitsplatzsicherheit eine geringere ist. Das muss aber auch noch weiter untersucht werden.
Ist die Hoffnung gerechtfertigt, dass das noch aus der Zeit stammt, in der Online nicht so eine große Rolle spielte und eher als Beigabe angesehen wurde? Jetzt ist ja überall die Losung: Online ist die Zukunft. Wird sich das hier positiv auswirken?
Das ist eine schöne Hoffnung. Die Wissenschaft hat immer das Problem, dass sie zeitlich hinterherhinkt. Und gerade die Branche Journalismus verändert sich so schnell – da kann in zwei, drei, vier Jahren viel passieren.
Wenn Sie vom journalistischen Prekariat sprechen, dann sprechen Sie nicht nur über die Freien, sondern Sie sagen: Auch Festangestellte sind von diesem Phänomen betroffen. Jetzt sind ja die meisten Zeitungen in Deutschland in Händen von einigen wenigen Konzernen, und die machen angeblich immer noch Gewinne. Wie passt das zusammen?
Verlage sind sehr kreativ, was zum Beispiel das Outsourcing angeht oder das Entdecken von neuen Sparmöglichkeiten. Dazu zählt auch die hausinterne Leiharbeit. Es gibt eine ganze Reihe von Verlagen in Deutschland, gerade im Regionalzeitungsbereich, die mit Leiharbeit arbeiten. Das nennt sich dann formal korrekt Arbeitnehmerüberlassung. Dabei geht es oft darum, die herkömmlichen Tarifverträge der Branche nicht anwenden zu müssen. Gerade diese redaktionelle Leiharbeit ist ein großes Problem für die Betroffenen. Zum Beispiel bei der »Frankfurter Rundschau« gab es eine solche Firma: „PDF“, Pressedienst Frankfurt. Da muss man sehr genau beobachten, ob das in Zukunft, wenn die »FAZ« am Ruder ist, so fortgesetzt wird. Es ist also mitnichten nur ein Problem der Kleinen.
Im Gegenteil: Sie haben für eine Studie, die 2010 vom Verein zur Förderung von Qualitätsjournalismus „Netzwerk Recherche“ herausgegeben wurde, eine Jungredakteurin der »Zeit« interviewt, die in drei Jahren drei Einjahresverträge hatte und auch noch unter Tarif bezahlt wurde. »Die Zeit« war ja vor nicht allzu langer Zeit auch vor Gericht und hat verloren, weil sie ihren Freien „Buy-out-Verträge“ aufzwingen wollte. »Die Zeit« ist aber gleichzeitig auch anscheinend der Titel, der sich am deutschen Zeitungsmarkt am Positivsten entwickelt und seit langem steigende Auflagen erfährt. Wie passt das zusammen?
Es gibt eben auch junge Journalisten, die sich auf solche Arbeitsverträge einlassen. Es ist attraktiv, für »Die Zeit« zu arbeiten, gerade unter Karrieregesichtspunkten. Und da stehen dann möglicherweise Fragen wie Befristung und Höhe des Einkommens zurück. Ob der Verlag zu ganz anderem in der Lage wäre, kann ich als Außenstehender schlecht beurteilen. Wenn es gute Leute gibt, die bereit sind, zu Konditionen zu arbeiten, die so ein Verlag festlegt, dann wird der Verlag das machen. Das ist unternehmerisches Denken.
Ist der journalistische Nachwuchs zu wenig organisiert? Hat er zu wenig ein gewerkschaftliches Selbstverständnis?
Das ist mir zu pauschal. Ich glaube, es gibt schon gute Beweise dafür, dass es auch Solidarität gibt unter jungen Journalisten. Es gab vor einiger Zeit zum Beispiel eine Online-Petition, in der es um die Bedingungen gerade für junge Journalisten ging. Daran haben sich sehr, sehr viele beteiligt. Es gibt auch viele, die sich in den Verbänden wie Freischreiber und Netzwerk Recherche engagieren und da ihre Positionen ganz engagiert vorbringen.
Sie eröffnen dem journalistischen Nachwuchs allerdings: Es ist mit allem zu rechnen. Das klingt eher negativ. Was soll das heißen?
Diese Aussage bezog sich vor allem auf die Redakteure, wo vielleicht noch das Bild vorherrscht, es gebe die lebenslange Festanstellung bei einem Medium, so wie das vielleicht in den 60er- oder 70er-Jahren verbreitet war, als das Normalarbeitsverhältnis noch ganz dominant war. Ich glaube, dass auch die Berufskarrieren von fest angestellten Redakteuren viel bunter, viel abwechslungsreicher, vielleicht auch viel überraschender verlaufen werden, als manch einer sich das im Moment vorstellt.
Es ist also nicht nur negativ gemeint?
Nein. Sie können auch mit vielen Chancen, etwa mit neuen Darstellungsformen rechnen, die es in den 60ern und 70ern so gar nicht gab. Etwa mit multimedialem Erzählen, was plötzlich auf Grund der technischen Möglichkeiten machbar ist und wo sie vielleicht ganz viel Spaß bei haben
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