Für eine echte Mitwirkung der Kommunen
Steffen Harzer über die Beteiligungsdemokratie im Wahlprogramm der Linkspartei
Bis Juni 2013 soll das Wahlprogramm der Linkspartei stehen – nach breiter Diskussion. Wortmeldungen zum ersten vollständigen Entwurf, vorgelegt am 20. Februar und 86 Seiten dick, gibt es bereits. Steffen Harzer verweist darauf, dass in der Bundesrepublik die »Kommunale Selbstverwaltung« oft gelobt und gepriesen wird. »Aber wie weit ist es damit gediehen?«, fragt der Kommunalpolitiker. Und: Wo ist die Position der LINKEN dazu in unserem Wahlprogramm verankert?
In der Reihe »Was will die Linke?« zum Wahlprogramm der Partei sind an dieser Stelle bisher Texte von Ralf Krämer (hier), Halina Wawzyniak (hier), Klaus Lederer (hier), Klaus Ernst und Jan Korte (hier) sowie des Sprecherrates der Antikapitalistischen Linken (hier), von Steffen Harzer (hier), Thomas Hecker (hier) sowie Tobias Schulze und Petra Sitte (hier), Ronald Blaschke (hier) sowie vom Koordinierungskreis der Emanzipatorischen Linken (hier) und von Ida Schillen (hier) – die Debatte wird fortgesetzt.
Kommunale Beteiligungsdemokratie in Deutschland / Von Steffen Harzer
Die ersten ländlichen Gemeinden entstanden in Europa während der Wende vom Früh- zum Hochmittelalter. Neue landwirtschaftliche Produktionstechniken und Bevölkerungswachstum beeinflussten sich gegenseitig. Die Streusiedlungen wurden aufgegeben, um in Dörfern zu siedeln. Die kollektive Bewirtschaftung von Äckern, Weiden und Alpen (Allmenden) und das Zusammenleben in Dörfern führte zu neuartigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Änderungen. Überall in Europa versuchten die Kommunen, Autonomie zu erlangen und die fremde Herrschaftsgewalt abzubauen. Mit der weiteren Entwicklung kam es zum republikanischen System des Kommunalismus; es entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte demokratische kommunale Strukturen, die so manche Gesellschafts- oder Herrschaftsform überstanden. Diese wurden in der weiteren Entwicklung in die nationale Gesetzgebung eingebaut. So wurde in Deutschland die Garantie der Kommunen, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, im Artikel 28 Abs.2 Grundgesetz festgehalten. Das ist das, was wir in Deutschland als »Kommunale Selbstverwaltung« loben und preisen.
Aber wie weit ist es damit gediehen? Mit der Einschränkung im Rahmen der Gesetze ist klargestellt, dass die Gesetzgebungskompetenz verfassungsrechtlich beim Bund und den Ländern liegt, weshalb der Einfluss auf die kommunale Aufgabenerfüllung durch Bund und Länder gegeben ist. Damit geben Bund und Länder vor, wie, wann, wo und ob die Kommunen welche ihrer Aufgaben zu erfüllen haben. Die starke Rolle der Bürger, aus der Geschichte heraus, wurde inzwischen in den Fragen der Bürgerbeteiligung in den Ländern – mehr oder weniger gut – geregelt.
Aber was ist mit der Stellung der Kommunen im Gesetzgebungsverfahren, im Prozess der »Kommunalen Selbstverwaltung«? Wo bitteschön ist die Verankerung kommunaler Beteiligungsrechte im Grundgesetz und in den Landesverfassungen? Wo ist die Position der LINKEN dazu in unserem Wahlprogramm verankert? Dazu gehört auch die verfassungsrechtliche Verankerung von Anhörungsrechten für Kommunen sowie für die kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene. Dazu gehört auch eine angemessene Berücksichtigung der kommunalen Interessen im Gesetzgebungsverfahren des Bundes. Und dazu gehört auch die Frage nach der Errichtung einer Kommunalkammer, wenn wir demokratische Entscheidungsprozesse fordern und einfordern.
Da dürfen wir auch aus der geschichtlichen Entwicklung heraus die europäische Ebene nicht außen vor lassen. Bereits im September 1952 fanden am Haager Kongress Verhandlungen über die direkte Demokratie in den Gemeinden statt. 1985 wurde dazu die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung geschaffen. Diese Konvention ist seit dem 1.September 1988 in Kraft. Aber die Auflagen der Europäischen Union zur Liberalisierung der Grundversorgung hat in den vergangenen Jahrzehnten die Schwächung des autonomen Handlungsspielraums der Gemeinden zur Folge. Aktuell will ich da nur an die geplante Liberalisierung der Wasserversorgung durch die EU erinnern. Ein Grundversorgungsauftrag, einer der wichtigsten Bestandteile der Daseinsvorsorge der Kommunen in Deutschland ist betroffen, ohne dass diese wirksam daran beteiligt werden. Daher ist es notwendig, dass auch hier Instrumentarien geschaffen werden, bei denen die Kommunen über alle Vorhaben der EU, von denen sie berührt sind, unterrichtet werden. Deswegen brauchen wir auch hier eine wirksame Beteiligung und Mitwirkung der Kommunen Europas.
Steffen Harzer, Jahrgang 1960, ist seit 1996 Bürgermeister im thüringischen Hildburghausen und seit 2010 Mitglied des Parteivorstandes der Linken. Er twittert unter @Harzerkas.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.