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Gefährliche Schönheit. Ein Nachruf zum internationalen Frauentag
Die Initiative »Pinkstinks« wendet sich gegen Sexismus in der Werbung
Der Monat März ist seit meiner Kindheit in der ehemaligen Sowjetunion fest mit dem internationalen Frauentag verbunden: Die früheren Erinnerungen sind allerdings nur Nelken, Tulpen und fröhlichere Stimmung als sonst. Dass der Tag einen emanzipatorischen Anlass hatte, habe ich erst später erfahren: Im Ursprung ging es um die Durchsetzung des Wahlrechts für die Frauen. Ein Problem, das mich in seiner Trivialität sehr überraschte und auch wütend machte.
Leider stehen die Probleme am Frauentag Anfang des 21. Jahrhunderts in starker Konkurrenz zu denen Anfang des 20. Jahrhunderts, was Trivialität und Wutpotenzial angeht: sexuelle Belästigung, Benachteiligung im Berufsleben, der allgegenwärtige psychische Druck in den Medien oder in der Außenwerbung auf der Straße und vieles mehr.
Wie allgemein verbreitet und akzeptiert die sexuelle Belästigung ist, verblüfft mich immer wieder. Dem Problem wird nicht nur mit Ignoranz begegnet, sondern noch schlimmer, das Verhalten wird sogar belohnt, wie zuletzt im Fall Brüderle, der auch noch zum Spitzenkandidaten seiner Partei gewählt wurde. Auch die Diskussion über die Frauenquote ist nur peinlich. Aber an dieser Stelle möchte ich besonders auf das letztgenannte Problem eingehen, denn das ist ein relativ neues Phänomen, das erst seit einigen Jahren bekannt ist, aber sich rasant verbreitet. Auch kann der aufkeimende Widerstand gerade jetzt gut Unterstützung gebrauchen.
Ich meine damit die Initiative »Pinkstinks« aus Hamburg, die auf erschreckende Zahlen hinweist: Die Zahl der Mädchen in Deutschland, die sich unattraktiv oder hässlich finden, hat sich seit 2006 fast verdoppelt, 2012 waren es beachtliche 53 Prozent. Noch schlimmer: Mittlerweile leiden schon achtjährige Mädchen unter Magersucht, und immer jüngere Kinder mit Essstörungen werden in die Kliniken eingeliefert.
Den Zusammenhang sieht »Pinkstinks« mit solchen Sendungen wie »Germany›s Next Top Model‹«, die im Jahr 2006 startete, und mit der sich häufenden Werbung auf der Straße. Alleine in Hamburg zählt die Initiative seit 2006 etwa 1500 neue Werbetafeln, die, ausgestattet mit perfekten Körpern, die Vorstellungen von Normalität bei den Kindern und Jugendlichen verzerren und zur Unzufriedenheit mit dem eigenem Körper führen. Gleichzeitig sind nur 2 Prozent aller Frauen so dünn wie die Models in der Werbung heutzutage. Und es geht noch weiter: Die Bilder werden so stark bearbeitet, dass sogar die Models selbst ihrem Bild auf dem Werbetafel nur ähneln. Deswegen ist es angesichts der steigenden Zahl der Opfer solcher Vermarktungslogik an der Zeit, mehr Realitätssinn sowie Vielfalt in der Auffassung von Schönheit und letztlich Sexualität von der Werbeindustrie einzufordern.
Das tut »Pinkstinks« mit einer gerade laufenden Unterschriftensammlung an den Werberat, in der gefordert wird, die Außenwerbung aus der Sicht der Kinder zu bewerten und nicht aus der eines »verständigen Durchschnittsverbrauchers«, wie es bis jetzt der Fall ist. Kinder sind nämlich keine verständigen Durchschnittsverbraucher, werden aber von der Werbung im gleichen Maße oder sogar noch stärker beeinflusst. Denn der Wunsch der Kinder, die verbreiteten »Vorbilder« nachzuahmen, ist ganz normal, aber die Fähigkeit, sich bewusst davon zu distanzieren, entwickeln sie erst später.
Und damit es beim virtuellen Protest nicht bleibt, will »Pinkstinks« das Thema am 1. September in Berlin auch auf die Straße tragen.
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